Replik an “Jeder kann eine eigene Meinung haben. Nicht aber eigene Fakten.” von Gerda Klostermann-Mace
Als Frau und aktive Springerin im Fallschirmsport begrüße ich es ausdrücklich, dass das Thema sexuelle Belästigung öffentlich diskutiert wird. Es ist wichtig, dass Betroffene ernst genommen werden und Machtmissbrauch sichtbar gemacht wird.
Dennoch hat mich der Artikel “Jeder kann eine eigene Meinung haben, nicht aber eigene Fakten” unserer Gleichstellungsbeauftragten, Gerda Klostermann-Mace, mit wachsendem Unbehagen zurückgelassen. Die Darstellung wirkt einseitig und greift viel zu kurz:
Männer erscheinen ausschließlich als Täter, Frauen ausschließlich als Opfer. Diese „Fakten“ mit Studien zu untermauern, die in einem anderen Kontext stehen und zudem veraltet sind, ist gefährlich.
Wer Gleichberechtigung ernst meint, muss auch die andere Seite sehen: Männer, die ebenfalls unter gesellschaftlichem Druck stehen und ebenfalls Belästigung erfahren, finden in der öffentlichen Debatte kaum Platz. Und wenn sich doch einmal ein Mann zu Wort meldet, wird dies belächelt und als unmännlich dargestellt.
Ich bin offen für Emanzipation und Feminismus und ganz klar gegen Machtgehabe.
Wichtig ist aber, dass wir nicht vergessen, dass auch Männer unter unseren gesellschaftlichen Strukturen leiden. Es geht nicht darum, Schuld zuzuweisen, sondern Verantwortung zu übernehmen. Männer sind keine Feinde, sondern Teil der Lösung. Ebenso sind Frauen keine Opfer per se, sondern ebenfalls Teil dieses immer wiederkehrenden Themas.
Besonders bei Tandempassagierinnen oder Schülerinnen fällt mir auf, wie sehr sich männliche Springer mittlerweile zurückhalten, aus Angst, etwas falsch zu machen. Die Furcht, eine harmlose Berührung beim Anziehen oder Checken des Brustgurts könnte missverstanden oder instrumentalisiert werden, verändert das Miteinander spürbar.
So wird niemandem geholfen, am wenigsten den Betroffenen echter Übergriffe, die laut den genannten Studien vor allem im häuslichen und beruflichen Umfeld passieren.
Was mir im Artikel fehlt, ist die differenzierte Betrachtung dieser komplexen Dynamik. Ja, es gibt übergriffiges Verhalten und sexuell unangebrachte Witze oder Kommentare. Ich gebe jedoch zu bedenken: Wer ernsthaft über Belästigung sprechen will, muss auch über Kontext, Kommunikation und gegenseitige Verantwortung sprechen – ohne moralischen Zeigefinger, sondern differenziert und reflektiert.
Nicht jede irritierende Situation ist gleich eine klare Grenzüberschreitung. Oft bewegen wir uns in einem sozialen Zwischenraum, in dem Unsicherheit, Missverständnisse oder schlichtweg schlecht kommunizierte Annäherungsversuche eine Rolle spielen. Manchmal ist es kein gezielter Übergriff, sondern ein unbeholfener oder unpassender Versuch, Nähe herzustellen. Es ist wichtig, dass wir darüber sprechen können, ohne gleich zu verurteilen und ohne dabei berechtigte Grenzen herunterzuspielen. Denn nur durch ehrliche Gespräche entstehen Verständnis und Veränderung.
Was mir darüber hinaus fehlt, ist die Einbeziehung männlicher Erfahrungen jenseits der Täterrolle. Studien wie „Männer unter Druck“ (BMFSFJ, 2020) zeigen, dass viele Männer mit innerem wie äußerem Druck zu kämpfen haben – etwa den Erwartungen, immer souverän, kontrolliert und belastbar zu sein. In meiner beruflichen Praxis erlebe ich Männer, die sich in belastenden Beziehungsmustern wiederfinden, in denen emotionale Manipulation, Abwertung oder auch sexuelle Grenzüberschreitungen eine Rolle spielen – oft subtil, aber dennoch tief wirkend. Häufig berichten Männer davon, dass sie nicht ernst genommen werden, wenn sie solche Erlebnisse schildern oder dass sie sich gar nicht erst trauen, darüber zu sprechen. Gesellschaftlich herrscht immer noch die hartnäckige Vorstellung, dass Männer nicht Opfer von Verführung oder Belästigung werden können.
Es wird von ihnen erwartet, dass sie jederzeit die Kontrolle behalten, was einen realistischen, menschlichen Umgang mit Verletzbarkeit erschwert. Es geht hier nicht um eine Umkehrung von Täter- und Opferrollen, sondern um die Anerkennung, dass auch Männer verletzbar sind und dass Übergriffe oder Grenzverletzungen nicht geschlechtsspezifisch verlaufen. Wer nur Täter und Opfer kennt, übersieht die systemische Sichtweise und das Zusammenspiel aller Beteiligten und Umstände dazwischen und verhindert echten Wandel. Es braucht mehr als Schuldzuweisungen. Es braucht Augenhöhe, Offenheit und ein Miteinander, das auf gegenseitigem Respekt basiert.
Damit wir überhaupt ein respektvolles Miteinander gestalten können, braucht es auch klare Regeln: Was ist völlig inakzeptabel und darf auf keiner Seite toleriert werden?
Ein respektvoller Umgang erfordert, dass Grenzen erkannt, offen kommuniziert und von allen respektiert werden. Es bedeutet, Verantwortung für das eigene Verhalten zu übernehmen und gleichzeitig Verständnis dafür zu haben, dass nicht jeder engere Kontakt mit Übergriffigkeit gleichzusetzen ist. Wenn Respekt endet und Druck, Manipulation oder Übergriffigkeit beginnen, ist es notwendig, eine Grenze zu setzen, und zwar ohne Diskussion und mit sofortiger Mitteilung, selbst wenn jemand sich unwohl fühlt.
Grenzüberschreitungen, die bewusst verletzen, herabwürdigen, manipulieren oder bedrängen, sind niemals akzeptabel. Körperliche Übergriffe ebenso wie entwürdigende Kommentare, Abwertungen oder gezielte Machtspielchen sind niemals akzeptabel, ganz gleich, wer sie verursacht. Belästigung ist kein triviales Thema. Aber sie wird nicht dadurch bekämpft, dass man ein Geschlecht pauschal verdächtigt und das andere auf Schutzbedürftigkeit reduziert.
Echte Gleichberechtigung umfasst Verantwortung für jeden, Schutz für alle und Respekt gegenüber der Vielfalt menschlicher Begegnungen. Sensibel sein – ja. Hellhörig und sehend – unbedingt. Aber nicht ängstlich, misstrauisch oder voreingenommen.
Wir brauchen ein Miteinander, das auf Klarheit und Vertrauen basiert und nicht auf ständiger Verdächtigung oder Unsicherheit. So entsteht ein Raum für echte Begegnungen, geprägt von Respekt und Offenheit.
Mit sportlichen Grüßen
Katharina Schmitt
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