Hitzewelle vorbei, 210 Athleten haben alle vorgesehenen Sprünge gemacht, neun Deutsche Meister gekürt, in Gransee hat sich der Staub gelegt. Ergebnisse, Bilder etc.? Kann man unter www.dm2024.dfv.aero nachschauen.
War es das? Naja, viel Theater mit der DFS trotz angekündigter Veranstaltung. Soso, das Militär … außerhalb des militärischen Luftraums … aha, klar, verstehen wir natürlich.
Und sonst? Was macht eine aus Sicht der Aktiven funktionierende DM eigentlich aus? Funktionierte Gransee? Und warum will oder sollte man überhaupt Ausrichter sein – ist das eine gute Idee?
Hat diese DM öffentliche Resonanz gefunden? Ein Blick hinter die Kulissen der DM 2024 in Gransee
Niemand möchte mit einer großen Veranstaltung Schiffbruch erleiden, auch GoJump nicht. Über diese Frage hatten wir in Gransee immer mal wieder nachgedacht und für uns frei nach Maslow eine Art „Bedürfnispyramide“ aufgestellt. Ausrichter wollten wir nur werden, wenn wir die Stufe 4 der Pyramide erfolgreich erklimmen könnten.
Die Wettbewerbsbedürfnispyramide Stufe 1
Die unterste Stufe der Pyramide, namentlich die nicht veränderbaren Voraussetzungen wie Hangar, Landewiesen, Flugbetriebsinfrastruktur und Erreichbarkeit sind gegeben, auch weil Gransee ein von der FSG eingerichteter Sonderlandeplatz unter eigener Regie ist. Ein Krankenhaus ist nur 5 Minuten entfernt – es könnte sich ja jemand am Papier seiner Lizenz schneiden … also „check“.
Herausforderung Pyramidenstufe 2
Andere lächeln darüber: Eine funktionierende Aufenthaltsinfrastruktur inkl. Wasserversorgung/-entsorgung und Stromverfügbarkeit ist meist kein Thema, aber an dieser Stelle begannen wir Jahr um Jahr wieder zu zögern. Campingplatz? Die FSG hilft gern und zusätzliche Plätze sind schnell vermessen. Klar, für mehr Strom gibt es biblisch teure Generatoren und für Abwasser fruchtig duftende Tankwagen mit Rüssel, Duschwagen sind in guter Qualität verfügbar und Zelte sind schnell gekauft, aufgestellt und möbliert. Ist nur eine Geldfrage, check.
Trinkwasser (auch zum Duschen) kam aber in Gransee bislang aus einem Brunnen. Dank großzügiger Spenden der Landwirtschaft sogar angereichert mit Spurenelementen. Aber Brunnen sind keine Wasserhähne mit unendlicher Kapazität und ein Anschluss an die öffentliche Versorgung war nicht in Sicht. Unsere Tandemgäste und Funjumper gehen schon mal aufs Klo, aber sie duschen nicht zweimal am Tag – ein Problem!
Sollte man an einem solchen Punkt stoppen und die sanften Tritte des DFV ignorieren? Vermutlich schon.
Pah! Wir sind eine nachdenkliche DropZone und wer nachdenkt, kommt schnell zu dem Schluss, dass in Deutschland künftig nur jene ca. 20-30 DropZones in einer für den Sport immer schlechteren politisch-wirtschaftlichen Lage überlebensfähig sein werden, die nachhaltig wirtschaften und kritische Masse bündeln, und zwar in allen Dimensionen: Tandem (für die Kohle) und Sportspringen/Ausbildung/Wettbewerb (für die Existenzberechtigung).
„Vorwärts immer, rückwärts nimmer!“ (Ostdeutsches Sprichwort … oder so)
Ok, also vorwärts. Es lohnt sich ein guter, ESG-zertifizierter Nachbar zu sein. Dann zieht die Stadt bzw. der Versorger auch mal anderswo einen Bautrupp ab und legt über einige hundert Meter eine Wasserleitung ans Grundstück. Kostenneutral und vorzeitig, wäre sonst irgendwann mal gekommen. Alternative Lösungen: Alles abgeprüft, auch den teuersten Scheiß. Ergebnis null. Allzeit frisch duftende Springer? Check.
Pyramidenstufe 3: Wie geht Wettbewerb?
Tja, keine Ahnung. Aber der „Import“ lokal nicht vorhandenen Knowhows ist legitim und es gibt ja Koryphäen wie Mausi (Matthias Maushake). Zu unserem Glück ist der Mausi nicht nur ein Sportidealist, sondern auch ein Romantiker mit Granseer Vergangenheit. Und er ist ein Profi: Er versorgte unser Team in kurzer Zeit mit wichtigem Grundlagenwissen, wies auf mögliche Fallen hin und dirigierte dann vor Ort souverän wie Karajan zu seinen besten Zeiten mit leichter Hand. An dieser Stelle noch mal unsere stehenden Ovationen!
Klar, unser Team stand voll hinter der Sache und hängte sich richtig rein. Aber Wettbewerb braucht auch Helfer an erstaunlich vielen Stellen: Landedokumentation, Assis des Operation Managers für Boarding und Tankvorgänge, Wunschfee für Schiris, Parkraummanager und ansprechbare Menschen, die Dinge regeln. An dieser Stelle haben sich FSG-Mitglieder Jörg und Peter ewigen Ruhm erworben und Martin kämpfte auf dem Campingplatz. Vieles war bei den englisch und spanisch sprechenden Helfern in guten Händen, die begeistert bei der Sache waren.
Pyramidenstufe 4: Wurst- und Bierpreise
Bei uns war diese Pyramidenstufe nur eine organisatorische Frage. Catering in unterschiedlicher Form, vom Frühstück über laufend verfügbare Gerichte und Snacks bis zum Abendessen. Wie immer, nur größer. Ein Bierwagen ergänzte den Tresen des SkyDiners und Zelte boten Sitzplätze. Check? Wir sind Teil der Brandenburger Gastronomielandschaft, kaufen regional nachhaltig, zahlen vernünftige Löhne und sogar Steuern. Brauchen wir hier andere Optionen? Dann bräuchten wir gleichzeitig Menschen, die für kein Geld arbeiten. Schade, die gibt es hier nicht.
Und die Welt hält den Atem an und guckt auf Fallschirmsport und Gransee?
Unser Sport kämpft um Aufmerksamkeit, ohne die werden wir beiseitegeschoben. In Gransee sind wir Dreharbeiten für diverse Fernsehformate und Werbung gewohnt, also hielten wir auch die DM für PR-vermarktbar. Erfahrung im Umgang mit Journalisten war vorhanden. Ministerpräsident Woidke sagte zwar kurzfristig ab, aber der Minister Freiberg kam und verbrachte viel Zeit bei uns – seine DropZone-Premiere.
Die Resonanz in der Presse blieb übersichtlich, die mit Abstand meiste Aufmerksamkeit bekam der „Schnellste Mann der Welt“ Marco Hepp. Was sagt uns das? Zunächst gratulieren wir Marco zu seiner Leistung und seinem Bekanntheitsgrad. Speed ist cool, dynamisch, hat eine Aura des Risikos und ist vor allem auch für den Laien schnell erklärt. Es gibt einen km/h-Wert und es braucht auch keiner zwingend ein Video.
Die Dynamik und die erstaunlichen Leistungen von WS Acrobatic, Freefly und Freestyle erschließen sich aber nur aus Videos, die bislang nicht gut live übertragen werden können. Zudem erschwerte zur Zeit der DM ein „Zwangsvertrag“, von dem der DFV ungewollt erfasst wird, die Vermarktung von Bewegtbild. Eine ganz harte Vermarktungs-Nuss ist RW – man konnte in den Augen der Journalisten förmlich die Frage lesen: Aber wenn man die anderen tollen Sachen machen kann, warum dann auf dem Bauch fliegen und Händchen halten? Da halfen auch erste Erklärungen wenig, da braucht es mehr.
Check? Nein, hier haben wir als Sport insgesamt noch einen Weg vor uns.
Lokal und regional können wir aber ein positives Fazit ziehen, denn den erschienenen Bürgermeistern, Amtsleitern und auch dem Minister wurde klar, dass man mit Gransee einen interessanten Punkt auf der Landkarte hat, der erhaltenswert ist. Das ist ein Teilerfolg.
Wieder eine DM in Gransee?
Wir haben viel gelernt. Über Wettkampf, über Erwartungen von Athleten, über unsere Möglichkeiten.
Ja, wir werden uns wieder bewerben. Es ist fordernd, aber es macht auch Spaß. Außerdem sollte jeder Platz, der die Grundvoraussetzungen erfüllt, sich regelmäßig bewerben. Ohne große Wettbewerbe keine sportliche und gesellschaftliche Relevanz und ohne Relevanz keine Zukunft.
So, und jetzt Urlaub.
Jan Dietrich Hempel