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Die „Sterne von China“ über Wuhan

Vom 4. bis 7. November fand in Wuhan (China) unter dem Titel „World Fly-In Expo“ eine Airshow statt, die auch eine vom Boden aus sichtbare Freifall-Darbietung beinhalten sollte. Der Ausrichter entsann sich des Trainingsaufenthaltes eines chinesischen Teams in Florida vor zwei Jahren und bat den mehrfachen Weltmeister Solly Williams (USA), 45 chinesische Freifaller zu einem hinreichend performanten Team zu formen. Dieser Bitte mochte Solly in dieser Form nicht nachkommen, schlug aber im Gegenzug vor, selbst ein Team zu rekrutieren, das die geforderte Aufgabe erfüllen könne. So wurde ab September unter Einbeziehung prominenter Mittelsmänner wie Pete Allum (UK), Marco Arrigo (ITA), Martial Ferré (F) oder Ian „Milko“ Hodgkinson (UK) ein inoffizieller Selektionsprozess in Gang gesetzt, der springerische Qualitäten ebenso berücksichtigte wie das Zutrauen, einen positiven Beitrag zur Teamdynamik leisten zu können. Nach nur wenigen Wochen war ein Lineup aus zehn Nationen beisammen, das gebeten wurde, sich selbst um Visum und Flüge zu kümmern, wobei außer dem Ort und dem minimalen Zeitfenster der Anwesenheit so gut wie keine verlässlichen Informationen existierten. Gemunkelt wurde, dass drei Twin-Otter-ähnliche Flugzeuge chinesischer Bauart bereitstünden, welche die Springer auf eine Absprunghöhe von gerade einmal 11.000 Fuß bringen sollten, und dass man vor Showbeginn sicherlich noch den einen oder anderen Trainingssprung machen könne, um – ja was denn eigentlich? – irgendeine sichtbare bzw. sehenswerte Formation hinzubekommen.
Diese recht originelle Form des Briefings offenbart, welche Geisteshaltung den Teammitgliedern eigentlich abverlangt wurde: maximales Vertrauen in die Reiseleitung, geringe Erwartungen an den Organisationsgrad sowie die bedingungslose Bereitschaft, unter dem Motto „expect the unexpected“ das Beste daraus zu machen. Diese Haltung wurde auch gleich vor Ort nochmals eingefordert, denn auch nach Ankunft der Akteure konnten noch keine wirklich konkreten Informationen zum Vorhaben und zum Ablauf gegeben werden. Gleichwohl war schnell spürbar, dass die versammelte Truppe, gespickt mit nationalen wie internationalen Champions im Formationsspringen ebenso wie mit GroFo- und World-Team-Veteranen, locker und zuversichtlich zu allem bereit war.


Die Mission startete dann mit einer gemeinsamen Fahrt zum Veranstaltungsort, einem großen Flughafen am Ufer des Jangtsekiangs, wo drei Tage vor Eröffnung erkennbar wurde, dass hier eine spektakuläre Airshow mit einer Vielzahl von bemannten und unbemannten bzw. motorisierten und nicht motorisierten Fluggeräten in der Entstehung begriffen ist. Offensichtlich wurde aber auch, dass man sich mit einem oder zwei Trainingssprüngen pro Tag begnügen musste, denn andere wollten schließlich auch noch üben. Ach ja, üben sollten und mussten übrigens auch die chinesischen Absetzpiloten, denn sie haben noch nie zuvor in ihrem Leben einen Formationsanflug mit drei Maschinen absolviert, weshalb sie gleich ein Spezialbriefing von Markus Bastuck erhielten, der ihnen zunächst nahebringen musste, dass ein Sicherheitsabstand von 300 m zwischen den Maschinen keinen wertvollen Beitrag zum Gelingen einer Großformation aus niedriger Höhe liefert.
Um überhaupt schon mal in die Luft zu kommen, wurden kurzerhand drei 15er-Teams gebildet, die unter Leitung der Teamcaptains Pete Allum, Milko Hodgkinson und Marco Arrigo per separatem Absetzvorgang einen Sprung absolvieren durften. Erst tags darauf wagte man einen ersten Formationsanflug, der es immerhin zuließ, dass die Berufenen unter Aufbietung sämtlicher Dive-, Track- und Anflugkünste noch vor Erreichen der Separationshöhe eine 6-zackige Sternformation komplettierten. Mit reichlich Zuversicht konnte man sich also dem mittlerweile konkretisierten Vorhaben annähern, die „Sterne von China“ aufzuführen, ein der chinesischen Flagge nachempfundenes Gebilde aus fünf Teilformationen – einem größeren und vier kleineren Sternen.
Zur großen Freude der vielen Zuschauer wurde diese Aufgabe während der imposanten Airshow mehrfach perfekt gelöst, optisch unterstützt durch den Einsatz von Rauch. So wurden die 45 Performer und die drei Videoleute nach ohnehin faszinierenden Sprüngen am Boden von tosendem Applaus der Einheimischen empfangen und durften sich anschließend zurück auf den Weg zum Packzelt begeben. Dass dieser vereinzelt bis zu einer Stunde in Anspruch nahm, lag nicht etwa an der weiten Entfernung, sondern am genüsslichen Bad in der Menge, das sich etliche gönnten. Den Anblick vieler strahlender Gesichter, das Abklatschen zahlreicher sich reckender Hände und das Posieren für unzählige Selfies mit begeisterten Chinesen mögen Rockstars gewöhnt sein, als Fallschirmspringer ist einem das wohl eher selten vergönnt. Umso schöner, dass es 2019 eine Neuauflage der Fly-In-Expo in Wuhan geben soll, die man aber keinesfalls an der Premiere messen sollte. Denn frei nach Konfuzius wurde eines ganz gewiss: Nur wer das Unerwartete erwartet und das nötige Maß an Vertrauen in sich und das Team mitbringt, darf darauf hoffen, dass die Erwartungen in mehrfacher Hinsicht übererfüllt werden.

Dr. Henning Stumpp / Fotos: Ralph Wilhelm

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