Interview mit Mark Schillberg & Matthias Kuttler über die Welt der Vertical Bigways, ihren gemeinsamen Weg zum Weltrekordversuch in Chicago und die aktuelle Lage dieser faszinierenden Disziplin auf lokaler Ebene.
FFX: Wie seid ihr beiden zum ersten Mal in Berührung mit vertikalen Bigways gekommen?
Mark: Das ist bei mir schon eine Weile her und war beim Deutschen Headdown Rekord von 2008. Eine 14er Formation, welche damals vom Team Freie Radikale organisiert wurde. Hört sich für heutige Verhältnisse nicht sonderlich groß an. Aber zu einer Zeit, wo es noch (fast) keine Tunnel gab und die deutsche Freefly-Szene sehr überschaubar war, ist das eine enorme Leistung gewesen.
Matthias (Matt): Mich haben seit meinen ersten Tagen als lizensierter Fallschirmspringer „größere“ Headdown Formationen fasziniert. Ich erinnere mich noch gut an eines der Deutschen Freefly Festivals (DFFF, damals von Marc Bachmann beim FSZ-Saar organisiert). Da dachte ich mir: Bei so einer 8er Headdown Round willst du irgendwann auch mal mitfliegen können und das erschien mir unglaublich schwer erreichbar (heute fliegen wir so was zum Warm-up). So entwickelte sich das über die Jahre weiter und als ich meine erste „Formation Load“ aus 2 Fliegern 2021 in Frankreich mitgesprungen bin (damals 36er Headdown), war das einfach nur unglaublich. Ab da war klar: Ich will in diese 200er Formation!!
FFX: Mittlerweile kennt sie jeder, die atemberaubenden Bilder der unvorstellbar großen Weltrekord-Formationen im Head Down. Viele möchten bei so einem Rekordversuch dabei sein, doch die wenigsten schaffen es … Aber warum ist das eigentlich so?
Mark: Das hat mehrere Gründe. Ein wesentlicher ist unter anderem die hohe Einstiegshürde in Puncto Basisarbeit. Denn nur wer sowohl im Tunnel als auch in der Luft sehr viel Zeit und Geld in sein Training investiert, um alle Grundlagen zu beherrschen, hat überhaupt eine Chance, bei (mehreren) Tryouts 100% fehlerfrei fliegen und überzeugen zu können.
Matt: Eine weitere Hürde stellt das eigentliche Training in der Luft dar. Denn nur wer regelmäßig zu Bigway-Events reist, dort seine fliegerischen Fähigkeiten ausbaut und vor allem aus seinen Fehlern lernt, kommt bei Rekorden in die engere Auswahl. Wer meint, direkt zu einem Tryout zu reisen, um sich dort das allererste Mal den zahlreichen Herausforderungen von Großformationen zu stellen (Approaches, Burbles, Separation, Landung usw.), hat in der Regel keine Chance weiterzukommen (ich spreche aus eigener Erfahrung).
FFX: Wie habt ihr es letztendlich zum Weltrekordversuch in Chicago geschafft und was war das für ein Gefühl, gemeinsam mit 200 Freeflyern in der Luft zu sein?
Matt: Die Basisarbeit im Tunnel konnten wir zum Glück durch unsere jahrelange Fliegerei in diversen Tunneln vorweisen. Die größte Herausforderung lag also für uns darin, sich die internationale „Bigway-Sprache“ und das damit verbundene „Behavior“ inklusive aller Regeln und Vorgehensweisen anzueignen und dann noch für Sichtbarkeit bei den „Gatekeepern“ der Tryouts zu sorgen. Denn auf internationaler Bühne hatten wir keinerlei Bekanntheit. Um das zu ändern, haben wir jedes uns mögliche Trainingscamp und Tryout besucht, welches angeboten wurde. Das waren in Summe fünf Stück, mit Nancy (FR), Florida (USA), Sevilla (SP), Klatovy (CZ) und Chicago (USA). Die goldenen Tickets haben wir in Sevilla und Chicago erhalten.
Mark: Der erste Sprung war sowohl für alte als auch neue Rekord-Teilnehmer schlichtweg atemberaubend (und auch ein bisschen scary). Die wenigsten Freeflyer werden es erleben, mit 200 Springern gleichzeitig in der Luft zu sein und eine Formation aus so vielen Fliegern (10!) miterleben zu dürfen. Das hat dann am Ende auch etwas darüber hinweggetröstet, dass der alte Rekord von 2015 mit 164 Springern immer noch nicht gebrochen werden konnte.
FFX: Was sind das eigentlich für Leute, die auf solche Veranstaltungen gehen? Was sollte man außer den fliegerischen Skills noch mitbringen, um hier erfolgreich zu sein?
Mark: Die Leute kommen von überall her und haben ganz unterschiedliche Backgrounds. Man muss kein Millionär sein, um solche Events zu besuchen. Jedoch ist der Wille und die Zielstrebigkeit, gewisse Lasten auf sich zu nehmen, viel zu reisen und konstant an seinen Stärken und Schwächen zu arbeiten, unumgänglich.
Matt: Man sollte definitiv ein Teamplayer sein und sein Ego zu Hause lassen. Hier fliegt jeder für den anderen mit und das große Ganze kommt dann zustande, wenn alles perfekt läuft. Für ungeduldige Sky-Rambos, die kein Feedback annehmen können und meinen, sie wüssten immer alles besser, ist hier kein Platz. Das gilt generell für solche Vorhaben. Alles muss zusammenpassen, man hilft einander und „Finger Pointing“ sollte hier nicht betrieben werden.
FFX: Der aktuelle Weltrekord von 2015 konnte nun zweimal in Folge nicht gebrochen werden. Könnt ihr etwas zum nächsten 200er Versuch im kommenden Jahr sagen?
Mark: Es sieht sehr stark danach aus, dass die Organisatoren einen neuen Ansatz verfolgen werden. Bei den letzten beiden Rekordversuchen in 2018 und 2022 wurde noch (vergeblich) auf das bis dahin altbewährte Konzept mit geschlossenen Pods gesetzt. Es scheint jedoch, dass dies nun an seine Grenzen stößt. Deshalb wird seit vergangenem Winter nun vor allem auf US-Camps sehr stark mit dem Ansatz der „Lines & Spines“ experimentiert. Dieses Konzept ist nicht neu und wurde von unseren Bellyflyer-Bigway-Freunden schon vor sehr langer Zeit erfolgreich entwickelt und umgesetzt. Es muss sich nun zeigen, ob dieser Ansatz auf eine Headdown-Formation mit 200 Springern übertragen werden kann. Die ersten Ergebnisse sehen jedoch schon vielversprechend aus.
Matt: Eine weitere Änderung, die es für Neulinge in der Szene definitiv nicht einfacher machen wird, ein „Invite“ bei den Tryouts zu ergattern, ist, dass diese nicht wie zuletzt in einem einheitlichen Format durchgeführt, sondern in zwei verschiedene Phasen aufgeteilt sind. So muss man ohne entsprechende Referenzen zuerst an einem Phase 1 Camp teilnehmen (~40 Way). Hat man dort erfolgreich sein Können unter Beweis gestellt, erhält man die Einladung für das Phase 2 Camp (60-100 Way). Dort muss erneut eine fehlerfreie Leistung erbracht werden, welche dann mit etwas Glück zum Golden Ticket und dem „Invite“ zum eigentlichen Weltrekordversuch führt.
FFX: Könnt ihr etwas zum Status quo der deutschen Bigway-Szene sagen? Wie schaut es zum Beispiel mit einem neuen Deutschen Headdown Rekord aus?
Mark: Eine richtig aktive Deutsche Vertical-Bigway-Szene (15+ Way) mit öffentlichen und sich widerholenden Events ist auf deutschen Dropzones de facto momentan nicht vorhanden. Eine Situation, welche Matthias und ich unbedingt ändern wollen. Aus diesem Grund haben wir in diesem Jahr drei Head-down Bigways in Soest orchestriert und einen ersten Versuch gestartet, die Begeisterung für Großformationen wieder aufleben zu lassen. Das Feedback war durchweg positiv und die Leute hatten Spaß und viel gelernt.
Matt: Der aktuelle Deutsche Headdown Rekord wurde 2018 von Philipp Exner mit einer 38er Formation in Zweibrücken aufgestellt und ist bis dato ungebrochen. Seitdem ist es in Sachen Bigways/Rekordversuchen sehr ruhig geworden, zumal einige der Teilnehmer von damals ihre aktive Springerkarriere beendet haben. Für einen neuen Deutschen Headdown Rekord ist meiner Meinung nach deutliche Aufbauarbeit zu betreiben. Es gibt viele „Hidden Stars“, die sicherlich im Stande wären, so was zusammen zu fliegen, aber jemand muss das in die Hand nehmen, die Leute zusammenbringen und ein Team formen, das in der Lage ist, eine Großformation zu fliegen.
FFX: Was sind eure persönlichen Ziele in puncto Bigways? Gibt es bestimmte Events, welche noch auf eurer Wunschliste stehen?
Mark: Das größte Ziel für uns ist natürlich, wieder beim nächsten Headdown Weltrekordversuch dabei zu sein, nicht auf der Bench zu landen und am Ende den ersehnten 200er aufzustellen. Daneben entwickeln sich gerade die ersten großen Sequential Bigway Camps, also Großformationen mit mehreren Punkten, welche extrem faszinierend sind. Im Juni wurde hier von Matthew Fry & Andy Malchiodi in Lake Elsinore ein beachtlicher Weltrekord aufgestellt. Eine 64er Formation mit insgesamt 4 Punkten in einem Sprung.
Matt: Neben den kommenden Groß-Ereignissen ist ein großes Ziel, die Bigway-Landschaft in Deutschland wiederzubeleben, weiter auszubauen und neue Springer in einer sicheren Umgebung an diese faszinierende Disziplin heranzuführen. Dafür haben wir in diesem Jahr bereits erfolgreich sehr viel Zeit & Energie investiert. Die Planungen für 2025 laufen bereits auf Hochtouren und wir können es kaum erwarten, demnächst die ersten Details zu kommunizieren.
FFX: Vielen Dank für das Gespräch und weiter viel Erfolg!