“I came for a state record, I left with a world record”
Ursprünglich sollte vom 7. bis zum 9.März 2024 der offizielle Florida State Record im Head-Up bei Skydive City in Zephyrhills, Florida, USA gebrochen werden. Hierbei sollte eine Gruppe von 60 Freeflyern in 3 Tagen gemeinsam diese Formation bilden. Leider hatten die Organisatoren Brad & Mallory Hunt (1-Point Skydive) mit vielen kurz- und mittelfristigen Absagen zu kämpfen, wodurch sie gezwungen waren, das Event umzuplanen. Angesichts der Tatsache, dass viele internationale Springerinnen und Springer extra angereist waren, entschieden sich die Organisatoren, anstelle des State Records einen offiziellen FAI-Weltrekord anzustreben.
Das neue Ziel war ein 2-Punkte Head-Up Sequential Sprung. Unter „Sequential“ versteht man in diesem Kontext eine Abfolge von Sequenzen, wobei zunächst eine Formation (1. Punkt) gebildet wird und diese dann zu einer zweiten Formation (2. Punkt) umgebaut wird. Die Sequenz zwischen Punkt 1 und 2 wird als „Inter“ oder „Transition“ bezeichnet – hierbei müssen sich ausgewählte Springerinnen und Springer einmal von allen anderen lösen, sich bewegen und für Punkt 2 wieder neu andocken.
Nachdem dieser Plan aufgestellt war, begannen am Vortag die Vorbereitungen mit dem Training der sogenannten POD-Drills bei iFly Tampa. Dabei wurde eine Art Basisbogen in der Tunneltür aufgebaut, an dem einige Fliegerinnen und Flieger andockten, um den Übergang von Punkt 1 zu Punkt 2 zu trainieren. Wer bereits Erfahrungen im Head-Up am Himmel hat, weiß, wie anspruchsvoll das ist – dazu später mehr. Darüber hinaus wurde das richtige Anfliegen sowie das Leveln trainiert. Im Gegensatz zu Head-Down Formationen, die von „oben“ nach „unten“ aufgebaut werden, erfolgt der Aufbau von Head-Up Formationen von „unten“ nach „oben“– ähnlich wie in einem Stadion. Das hat analog zum Head-Down den Zweck, dass man seine „Cross-Reference“ (den gespiegelten Flieger auf der gegenüberliegenden Seite der Basis) sehen kann.
Zephyrhills – Der erste Sprung:
Nachdem alle Springer am ersten Tag eingetroffen waren und die Formationen 2- bis 3-mal gelaufen wurden, ging es in die Boarding-Zone. So langsam machte sich der Druck bemerkbar, der auf der gesamten Gruppe lastete – niemand wollte versagen, alle wollten performen, um das gemeinsame Ziel des Weltrekordes zu erreichen. Auf knapp über 5.200 Metern AGL angekommen, ging dann die Tür auf. Die beiden Flieger, welche die 32 Springer plus 3 Videoflieger nach oben brachten, flogen sehr dicht zusammen, was die Grundvoraussetzung ist, dass die Gruppe im Freifall überhaupt schnell zusammenkommen kann. Nach dem Exit zerbrach alles. Die Basis drehte es in alle Richtungen, niemand fand seinen Slot und das Chaos war perfekt. Unten angekommen, ging es dann zu einem schnellen Debriefing, wobei man sich sehr schnell einig war: „… das war nichts! Gleich noch mal, aber diesmal besser!“
Gesagt, getan … im zweiten Sprung lief es deutlich besser und es war viel mehr Ruhe im System. Dennoch gelang es nicht, den ersten Punkt vollständig zusammenzufliegen, was auch das gesamte Sequential Rekordvorhaben in diesem Durchgang unmöglich machte.
Im dritten Sprung flog dann immerhin der 32er das erste Mal geschlossen zusammen, aber beim Übergang zum zweiten Punkt herrschte zu viel Unruhe im System, sodass es nicht möglich war, diesen komplett zusammenzufliegen.
In Sprung 4 war es dann vollbracht: Exit, Approach, Punkt 1, Inter/Transition, Punkt 2, Separation, Schirmöffnung, Landung, fertig! Da war er, der Rekord und das im vierten Sprung! Jeder wusste nach der Landung: Das muss es gewesen sein! Für mich war es erst meine dritte Rekordversuch-Veranstaltung (Record Attempts), aber die alten Hasen berichten immer davon, dass man förmlich spürt, wenn der Rekord geklappt hat, und so war es auch hier. Nach dem Packen wurde dann das Video ausgewertet und die Standbilder von der anwesenden FAI-Offiziellen (Amanda Owens Smalley) begutachtet: Der Rekord konnte vorläufig bestätigt werden. Die Freude war grenzenlos und alle lagen sich in den Armen – ein großartiges Gefühl!
Nun wollten wir jedoch mehr. Der Dritte Punkt sollte her, was wir mit der Gruppe noch einen weiteren Tag lang versuchten. Hier und da gab es innerhalb der Formation diverse Anpassungen und Springer wurden umgesetzt oder ausgewechselt. Jeder sollte dort fliegen, wo er den bestmöglichen Beitrag für das angestrebte Ergebnis bringen konnte. Wir waren wirklich ganz kurz davor, auch diesen Rekord noch mitzunehmen, aber neben kleineren Performanceproblemen und einem weiteren Tag mit nicht springbaren Windverhältnissen mussten wir an dieser Stelle leider aufgeben.
Man merkte jedoch richtig, wie die gesamte Gruppe ab Beginn des zweiten Tages zusammenwuchs und jeder für jeden kämpfte, was eine großartige Sache war. Auch diejenigen, die ausgewechselt wurden, unterstützten, wo sie konnten. Darüber hinaus haben auch die beiden Organisatoren mit ihren Ansprachen die Motivation und den Zusammenhalt stets hochgehalten. Ein Team, ein Ziel und das haben wir erreicht!
Exkurs Head-Up – The hardest thing you can fly (by Brad Hunt):
Was ich bei vielen Freeflyern immer wieder beobachte, ist, dass sie kurz nachdem sie halbwegs stabil “sitzen“ können, sofort mit Head-Down anfangen, weil das ja „viel cooler“ ist (keine Wertung an dieser Stelle). Jedoch kann man sagen, dass Head-Up die schwierigste Position ist, die man vertikal-orientiert fliegen kann. Physikalisch kann man das mit den Flugeigenschaften eines Federballs vergleichen. Ein Federball fliegt in seiner natürlichen Flugbahn mit der Masse nach vorne/unten gerichtet und den Federn hinten. So ist es auch mit dem menschlichen Körper. Wenn man den Federball beispielsweise aus einigen Metern Höhe fallen lässt, fliegt er physikalisch korrekt mit der Masse voran nach unten. Genauso fliegt man im Head-Down (die Beine fungieren hier als Federn und stabilisieren den Flug / die Flugbahn), was diese Orientierung wesentlich einfacher macht als Head-Up – oder habt ihr schon mal einen Federball rückwärts fliegen sehen?! Ferner kann man sagen, dass Head-Down jedoch schwer zu erlernen ist, aber sich dafür einfacher perfektionieren lässt. Hat man die Orientierung einmal im Griff und kann sich auf dem Kopf halten, geht’s danach meist recht schnell mit dem Fortschritt.
Im Head-Up ist es genau umgekehrt. Man lernt es recht schnell, aber es ist unglaublich schwer, hier solide und stabil zu fliegen. Darüber hinaus ist das Anfliegen wesentlich schwieriger und es verlangt den Fliegern alles ab. Was ich damit sagen möchte: Man sollte das Head-Up-Fliegen nie vernachlässigen und sich erst einmal eine solide Basis erarbeiten, bevor man im Head-Down loslegt. Ein gutes Head-Up zu fliegen, macht später gerade bei solchen Vorhaben vieles leichter. Ich selbst bin >48h Stunden reines Head-Up im Tunnel geflogen (im Rahmen wöchentlicher Sharings mit anderen Freeflyern), bevor ich auch nur einen Gedanken daran verschwendet habe auf dem Kopf zu fliegen. Einen Tipp, den ich an der Stelle noch geben kann, um im Himmel ein solides Head-Up zu fliegen, ist es mit Rig-Dummy im Tunnel zu trainieren. Hier verlagert sich der Schwerpunkt etwas weiter nach hinten und man muss regelrecht „ankern“, um sitzen zu bleiben und nicht umzufallen. Einige Tunnel verfügen über solche Dummy-Rigs. Außerdem könnt ihr euch ein Cover für euer Rig anfertigen lassen und folglich mit der eigenen Ausrüstung indoor trainieren. ACHTUNG: AAD (Cypres, Vigil o.ä.) unbedingt ausgeschaltet lassen, bevor man damit in den Tunnel geht!
Also nutzt die angebotenen Sharingmöglichkeiten und fliegt miteinander so viel ihr könnt. Das spart nicht nur Geld, sondern verschafft euch auch mehr Airtime, was unglaublich wichtig ist!
Die Teilnehmer dieses Rekordversuches kamen aus 7 unterschiedlichen Nationen: 19x Amerika, 3x Brasilien, 3x Kuwait, 2x Deutschland (Markus Schwarz & Matthias Kuttler), 1x Belgien, 1x Türkei, 3x Frankreich.
Flugzeuge & Höhe: 2 Twin Otter; 5.200-5.500 m (17,000-18,000 feet) AGL
Mein besonderer Dank geht an Mallory und Brad Hunt für das entgegengebrachte Vertrauen und die umfassende Organisation sowohl im Hintergrund als auch auf operativer Ebene.
Matthias Kuttler