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Vom 22.08. bis 26.08.2022 fand bei Skydive Chicago im Bundesstaat Illinois, USA, nach über vier Jahren Pause endlich wieder ein erneuter Weltrekordversuch statt. Auch wenn das Ziel einer 200er Head-Down-Formation am Ende zu ambitioniert war und der Rekord von 2015 mit 164 Springern erneut nicht eingestellt werden konnte, bot das Event atemberaubende Eindrücke und ein unvergleichbar fliegerisches Höchstniveau. Dieser Artikel soll ein kleiner Erfahrungsbericht und Guide für dich als Freeflyer sein, falls du selbst mit dem Gedanken spielst, an einem potenziellen neuen Weltrekordversuch teilzunehmen. Die Anforderungen sind hoch, nicht nur was das fliegerische Können und das mentale Mindset betrifft, sondern natürlich auch finanziell.

DIE GRUNDVORAUSSETZUNG

Um überhaupt in die Nähe einer Qualifikation zu kommen, sind zwei Aspekte unerlässlich: Tunnelzeit UND Freifallzeit. Die Chancen werden deutlich geringer, wenn du nur eine von beiden Disziplinen beherrschst. Ein fundiertes Skillset im Tunnel weisen heutzutage glücklicherweise nahezu alle Freeflyer von Anfang an auf. Für eine erfolgreiche Qualifikation zum Weltrekord helfen dir dann jedoch vor allem entsprechende Sequential- und VFS Tunnelcamps. Hier lernst du schnell vertikal auf engstem Raum mit mehreren Fliegern sicher auf Level fliegen zu können, ohne dass du durch Burbles anderer Teilnehmer aus deinem Slot gerissen wirst. All das erwartet dich nämlich bei einem 200er in der Luft, womit wir zum zweiten und weitaus wichtigeren Teil kommen, der Freifallzeit. Der/Die größte Tunnel-Rockstar wird es niemals zu einem Weltrekord schaffen, wenn nicht gelernt wurde, wie man die Tunnelskills erfolgreich in den Freifall und vor allem auf die Regeln der Großformation überträgt. Während dir der Tunnel eine konstante Windgeschwindigkeit bei vordefiniertem kleinem Raum bietet, sieht es im Freifall komplett anders aus. Diven & Floaten über sehr weite Strecken bei stets unterschiedlichen Fallraten kannst du nicht im Tunnel trainieren. Genauso wie die Separation inkl. darauffolgender Schirmfahrt mit bis zu 200 Springern fordern dir alles ab. Eigentlich gleicht solch ein Sprung dieses Formates mehr einem Moving Jump (je nach Position in der Formation). Für eine erfolgreiche Teilnahme ist es deshalb unerlässlich, auf Big-Way-Camps die Regeln der Großformation und deine Freifall-Skills zu trainieren, womit wir zu den Vertical World Record Tryouts kommen.

DIE TRYOUTS

Im Vorfeld des Weltrekordversuches finden auf der ganzen Welt Tryout-Camps statt, die primär der Sichtung und Qualifikation dienen, zum anderen jedoch seltene Bigway-Trainingsmöglichkeiten bieten. Erfüllst du die Grundvoraussetzungen, kannst du dich unkompliziert zu einem dieser Camps anmelden. Beim diesjährigen Rekordversuch waren es insgesamt 14 Camps, von denen 2 in Europa stattgefunden haben. Zu Beginn eines Tryout-Camps erhältst du in der Regel ein mehr oder weniger umfangreiches Briefing, bei dem alle Regeln und Verhaltensweisen von Bigway-Sprüngen erläutert werden. Allerdings werden die Basic-Regeln des Bigway-Fliegens als bekannt vorausgesetzt, weshalb es durchaus sinnvoll ist, im Vorfeld schon einmal bei einem ähnlichen Format mitgemacht zu haben. Im Anschluss werden den Teilnehmern dann die Positionen in der Formation sowie im Flugzeug zugewiesen und es beginnt das „Trockentraining“ (Dirt-Dive) am Boden. Hierbei wird mehrmals und intensiv der komplette Sprungablauf vom Exit bis zur Separation simuliert. Dies ist notwendig, damit jeder Springer seine “Line-of-flight” visualisiert und den richtigen Anflug zu seinem Slot verinnerlicht. Los geht es dann direkt mit 20er-60er Formationen aus 1-3 Flugzeugen, bei welchen du deine kompletten Skills in jeder Sprungphase (Exit, Freifall, Separation, Schirmfahrt) und auf jeder Position (Basis, First Stinger, Second Stinger, Pod Closer, Bridge etc.) unter Beweis stellen musst. Um die Organisatoren zu überzeugen, ist es zwingend notwendig, dass du dich diszipliniert an die Regeln des Großformationsspringens hältst, kein Sicherheitsrisiko für dich und andere darstellst und vor allem sehr schnell in deinem Slot bist. Erfüllst du diese Voraussetzungen und hast beim Tryout in den 10-15 Sprüngen überzeugt, erhältst du mit etwas Glück ein Goldenes Ticket. Dieses berechtigt dich zur Teilnahme am ersten Sprung des Weltrekordversuchs (und zwar nur dafür). Daneben gibt es noch das Silberne Ticket, welches dich für die Bank qualifiziert. Im Laufe des Rekordes ist man mit diesem Silbernen Ticket nicht von Anfang an dabei, hat aber die Chance, zu einem späteren Zeitpunkt eingewechselt zu werden. Abschließend ist zu den Tryouts zu sagen, dass zwar keine Bigway-Vorerfahrungen zwingend notwendig sind, diese jedoch stark die Chance auf ein Ticket erhöhen. Von den vier deutschen Weltrekordneulingen ohne Vorerfahrungen erhielt kein einziger seine Qualifikation beim ersten TryoutCamp. Hierzu ist allerdings zu sagen, dass pro Tryout-Camp nur eine begrenzte Anzahl an Tickets vergeben wird und die „Konkurrenz“ meist stark und auch sehr erfahren ist. Du solltest als absoluter Neuling mindestens 2-3 Tryout-Camps einplanen und diese auch als Trainingsmöglichkeit nutzen, um eine realistische Chance auf ein Ticket zu bekommen bzw. am Ende im Rekordversuch möglichst lange mit von der Partie zu sein.

DAS GOLDENE TICKET – VORBEREITUNG AUF DEN REKORD

Du hast auf einem der Tryouts fehlerfrei deine Skills bewiesen und nun ein Goldenes Ticket zum Weltrekordversuch erhalten? Glückwunsch! Dies bedeutet aber noch lange nicht, dass du dich auf deinem Erfolg ausruhen kannst. Das Goldene Ticket qualifiziert nur zur Teilnahme am ersten Sprung des Rekordversuchs. Von da an musst du dir die weitere Teilnahme an den darauffolgenden Sprüngen konstant durch fehlerfreies und sicheres Fliegen auf höchstem Niveau weiter verdienen. Ein kleiner Fehler oder ein schnellerer Hintermann kann im Zweifel schon zum „Cut“ führen und du wirst durch einen der zahlreichen meist starken Bank-Springer ersetzt. So kann das Thema Weltrekord für dich schon nach einem Sprung wieder beendet sein. Um dem vorzubeugen, hilft jede Teilnahme an einem weiteren Tryout oder lokalem Bigway-Camp in deiner Nähe ungemein. Denn nur dort hast du die Gelegenheit, alle Skills, die während des Weltrekordversuchs von dir abverlangt werden, im Vorfeld zu trainieren und weiter zu verbessern. Unter den deutschen Weltrekordneulingen wurden im Schnitt 3-4 Tryouts sowie ein lokales Bigway-Camp absolviert. Neben der fliegerischen Vorbereitung fallen natürlich auch noch die organisatorischen an. So musst du im Besitz einer gültigen FAI-Lizenz sein, welche über die Mitgliedschaft in einem DAEC-Verband beantragt werden kann. Ca. vier Wochen vor dem Rekord wird dann die finale Formation mit dem kompletten Belegungsplan geteilt und du erfährst deine Position für den ersten Sprung. Aber Achtung: Du kannst im Vorfeld zwar Präferenzen für deinen Lieblings-Slot abgeben, solltest jedoch zwingend damit rechnen, JEDEN Slot fliegen zu können/müssen. So wurden u.a. deutsche Teilnehmer bis zu sechs Mal in unterschiedlichste Slots umplatziert, was enorme Flexibilität erfordert.

DER REKORD

Der Tag ist gekommen. Nach zahlreichen Tryouts, unzähligen Visualisierungen des ersten Sprungs und einem langen Flug in die USA, fährst du endlich auf den Vorplatz der Dropzone und checkst ein. Auf eines kannst du dich nun definitiv einstellen: Jede Menge Stress, wenig Schlaf und seeeeehr lange Tage. Ein Weltrekordversuch ist körperlich und mental eine enorme Herausforderung. Die Briefings und Dirt-Dives mit voller Ausrüstung und Gurtzeug auf dem Rücken beginnen noch bevor die Sonne aufgeht und verlangen absolute Konzentration und Aufmerksamkeit, helfen dir aber auch dabei, deinen Weg in der Formation zu finden und dir das sogenannte Side-Picture einzuprägen. Hast du bei einer 40er-Formation während der Tryouts noch alle Springer im Blick, sieht dies bei 200 Springern und 10 Flugzeugen ganz anders aus. Wenn du hier nicht sicher deinen Slot, den Anflug und die Separation visualisierst, hast du in der Luft keine Chance deinen Platz zu finden. Somit ist es kein Wunder, dass der Sprung aus 10 Flugzeugen mit insgesamt 4 Separationswellen mehrmals simuliert wird, inklusive zahlreicher Exit-Trainings am Mockup. Eine Stunde später geht es für dich dann in mehrere Decken eingewickelt (falls du im Bereich der Tür sitzt ;-)) auf 6000m in die Luft. Der erste Sprung ist sowohl für alte als auch neue Rekord-Teilnehmer schlichtweg atemberaubend. Die wenigsten Freeflyer werden es erleben, mit 200 Springern gleichzeitig in der Luft zu sein und eine Formation aus so vielen Fliegern zu bestaunen. Hast du den Exit, Freifall und die Separation gut überstanden und bist erfolgreich deinen Slot geflogen, gilt es noch sicher mit deinem Schirm zu landen und von der Landewiese zu kommen. Dies ist eine der kritischsten Phasen, da der Himmel voller Schirme ist und du absolut vorausschauend steuern und für andere berechenbar deine Kappe fliegen musst. Spielereien und schnelle Landungen haben hier nichts verloren. Wer über 90 Grad dreht oder andere verrückte Manöver absolviert, für den ist das Projekt Weltrekord sofort vorbei. Gleiches gilt, wenn du dich nicht vor dem Ablegen des Schirms bei deinem Plane-Captain zurückmeldest. Denn dann wird im Zweifel ein Suchtrupp nach dir losgeschickt und der Sprungbetrieb eingestellt, bis sichergestellt wurde, dass dir nichts passiert ist. Während du nun Zeit hast, deinen Schirm zu packen, sitzen die Organisatoren vor den Bildschirmen und analysieren detailliert die Performance der unterschiedlichen Sektoren auf Auffälligkeiten. Springer, welche zu langsam sind oder an anderer Stelle Fehler gemacht haben, werden hier recht gnadenlos aussortiert. Denn Zeit für Fehler gibt es ab diesem Zeitpunkt nicht mehr. Somit schwingt immer die Angst mit, evtl. beim nächsten Sprung nicht mehr dabei zu sein, was dich jedoch nur noch mehr anfeuern wird, dein Bestes zu geben.

DIE KOSTEN

Um es kurz zu machen: Die Teilnahme an einem Weltrekord ist keine günstige Angelegenheit. Dies liegt zum einen an den hohen Reisekosten zu den Tryouts und dem Weltrekordversuch an sich (Flug, Hotel, Mietwagen) und zum anderen an den damit verbundenen hohen Sprungkosten und Teilnahmegebühren. Ein Höhensprung mit Sauerstoff beim Weltrekord aus 6000m veranschlagt rund 66$. Gleiches gilt für die Tryouts, welche ebenfalls aus 4500-5000m absolviert werden und man in Europa dafür mit 50-60€ pro Sprung kalkulieren sollte (USA ähnlich). Als Neuling ohne Vorerfahrung und der erfolgreichen Teilnahme an zwei europäischen Tryouts + Weltrekord, solltest du im günstigsten Fall mit gut 6.000-8.000€ kalkulieren, was jedoch optimistisch gerechnet ist. Die gute Nachricht ist, dass der nächste Weltrekord nicht vor 2025 stattfinden wird. Du hast also drei Jahre Zeit zu sparen und dich vorzubereiten! 🙂

Mathias Kuttler, Marc Schillberg, Sebastian Wulsch

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