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1. DEUTSCHER FS NACHTREKORD 16-WAY

Die Lampe im Flieger leuchtet rot – 5 Minuten! 5 Minuten, bis sich die Fliegertür öffnet und 18 Springer das Flugzeug in die Nacht verlassen. Jetzt heißt es: fertig werden! Die Kabel der LED-Schläuche müssen in den Akku eingesteckt werden: der erste LED-Schlauch erhellt den bis dahin dunklen Flieger. Ein Akku am Fuß, ein weiterer am Handgelenk – beide Schläuche sind verbunden. Es folgen viele weitere und es wird immer heller. Die Pyrotechnik wird noch einmal auf Funktionstüchtigkeit und Sicherheit kontrolliert. Alle LED Schläuche leuchten, die Pyro ist einsatzbereit, ein letzter Check an sich selbst und – das Wichtigste – einmal tief durchatmen. Ein Blick in die Gesichter der anderen verrät: Anspannung ist da und das ist auch gut so. Wir schütteln uns die Hände mit einem kräftigen Händedruck oder nicken uns zuversichtlich zu. Wir schaffen das! Die Lampe springt um auf Grün: Das Zeichen, um die Tür zu öffnen. Die ersten Springer klettern raus und bauen sich außen am Flieger auf, die nächsten rücken nach. Alle sind in Position – so, wie wir es trainiert haben, so, wie wir aufgestellt wurden: Bereit zum Absprung, bereit, den ersten deutschen FS-Nachtrekord zu springen. Ein Schütteln – Ready, Set, Go …

Philipp Exner ruft an – Philipp??? Er Freefly, ich Formationsspringen – was kann er denn wollen? „Hi Philipp, alles gut?“ „Klar! Du, Yvonne, würdest Du mir einen Gefallen tun und mir mal eine Liste zusammenstellen mit den besten Formationsspringern in Marl?“ „Ähm, ja, klar, kann ich machen. Irgendwelche Vorgaben? Und darf ich wissen, wofür?“ „Erst mal keine Vorgaben, einfach mal auflisten, wer problemlos eine Formation anfliegen und dann Punkte fliegen kann. Den Grund erfährst Du noch früh genug.“ Ich konnte sein Augenzwinkern förmlich an seiner Stimme durch mein Handy „hören“ „Alles klar, kommt.“ „Super, danke Dir. Bis zum Wochenende.“ Wie immer sieht man sich am Wochenende am Platz. Hmm … Philipp – Freefly-Nachtsprünge im letzten Jahr – Liste mit Formationsspringern – das war jetzt nicht sooo schwierig. „Wie geil wäre das denn?“, schoss mir als Erstes durch den Kopf, dicht gefolgt von „Will ich das überhaupt?“. Aber gut, das spielt ja auch erst mal keine Rolle, zurück zur Liste.

Einige Tage später: Tobi Koch ruft an – „Hey Buddy, alles gut?“ „Klar, Bock auf nen Nachtsprung?“ Schon wieder das Augenzwinkern in der Stimme zu hören. Geplant sind drei Tryouts, „jeder“ kann mitmachen. Jeder, der sich zutraut, eine Formation anzufliegen, Griffe ruhig und auf Level zu nehmen, Formationen umzubauen und schließlich sicher zu separieren. Das sollte weniger das Problem sein, aber bei Nacht? Panik …

Nach einigem Stottern und Zögern: „Bei den Tryouts möchte ich schon gerne mitmachen, ob ich am Ende wirklich die Nerven behalte, bei Nacht aus dem Flieger zu hüpfen, das kann ich nicht versprechen.“ „Passt schon, sehen uns am Wochenende.“ Wie immer sieht man sich am Wochenende am Platz. Spätestens mit diesem Tag fing das Karussell im Kopf an, sich zu drehen.

Es folgten viele Gespräche, Fragen konnten stets gestellt werden, alle Interessenten wurden abgeholt – ein beruhigendes Gefühl, weniger Skepsis, weniger Panik, weniger Fragezeichen. Viele der folgenden Nächte verbrachte ich mitten im Nachtsprung: Aufstellen im Flieger, der Sprung in die Nacht, Anflugbilder, Griffe nehmen, Separation, Schirmfahrt, der Blick auf eine hell erleuchtete Wiese – unzählige Male habe ich vom Nachtsprung geträumt, jedenfalls so, wie ich ihn mir vorstellte. Mit jeder Nacht löste das Gefühl „Vorfreude, ich möchte dabei sein!“ das panische Gefühl „Auf keinen Fall, ich bin doch nicht bescheuert!“ ab. Und es sollte sich noch herausstellen, dass diese Entscheidung genau die richtige war.

Im Mai, Juni und Juli hieß es dann: Tryouts – Wer beim Nachtsprung und damit Rekordversuch dabei sein wollte, musste nun zeigen, was er kann. Und so vereinten sich am Himmel über Marl nicht nur Formationsspringer, sondern auch Freeflyer und Swooper, um zu zeigen: Wir können das! Die Formation bestand aus 16 Springern plus 2 Videoleuten, so wie es auch für die Nacht geplant war. Es wurde in Konstellationen gesprungen, die sicherlich einmalig waren, und das ist eine Sache, die das Vorhaben besonders machte: Vereinen von Disziplinen und gemeinsam als Gruppe an unserem Heimatsprungplatz springen. Für einige eröffneten sich völlig neue Welten: „Du musst die Beine lang machen und stark sein, um wieder hochzukommen nach dem Floater Exit!“ „Alles klar!“ Nächster Sprung: „Tobi, hast Du gesehen? Ich hab einfach die Planke gemacht und schon war ich da!“ Ok, gerne erweitern wir unsere Fachbegriffe im Formationsspringen um „die Planke“ – jedenfalls in Marl wird der Begriff legendär bleiben – Danke, Bernd!

Einige Einladungen waren schon nach dem ersten Tryout ausgesprochen und auch die anderen sind gut gesprungen. Und so kam am Folgeabend die Nachricht: Du bist dabei! Gratulation zum Invite! Mega!!! Ein Blick auf Facebook verriet, wer die anderen Glücklichen waren: Schnell wurde sich über WhatsApp gratuliert und gemeinsam gefreut – der nächste Schritt Richtung Rekordversuch bei Nacht war getan.

Am 15. September 2022 war es dann so weit: Um 13h versammelten sich alle pünktlich am Platz zu einer kleinen Eröffnungszeremonie. Positive Aufregung machte sich breit, als man ankam und die vielen vorbereiteten Fächer mit Namen beschriftet sah: Lichtschläuche, Akkus, Halterungen, Pyrotechnik, ein Rekordshirt … Wir starteten damit, die Abläufe zu besprechen, uns mit dem Equipment vertraut zu machen, offene Fragen zu klären usw. Tobi stellte sich netterweise als Model zur Verfügung, so dass Philipp zeigen konnte, wie man Schläuche und Fußhalterung anbringt – eine Aufgabe, die Tobi sichtlich Spaß machte. Da wir den Sprung noch einmal bei Tag in der nun neuen Besetzung springen wollten, hieß es am Nachmittag: Der Himmel reißt auf – fertig werden und Wetter nutzen, bevor es dunkel wird. Die Wettervorhersage war für unser langes Wochenende nicht auf unserer Seite, Donnerstag und Freitag sahen noch am besten aus, tagsüber und nachts, ab Samstag sollte es bei geschlossener Wolkendecke regnen. Das steigerte aber nur unsere Motivation: Dann musste der Rekord eben zügig her!

Inzwischen war es dunkel genug und es wurde ernst: Anziehen, Lichtschläuche anlegen, Fußhalterung anlegen, alles noch einmal testen – funktioniert. Live-Standort in WhatsApp einschalten und das Handy in der Kombi verstauen – für den Fall der Fälle, wir wollen es natürlich nicht hoffen, wer will schon mitten in der Nacht woanders landen? In voller Montur wurde der Sprung noch einmal am Boden gelaufen, ein gemeinsames Einatmen und Ready, Set, Go, bevor es in den Flieger ging. Vorbei an Gundel, unserem Judge für den Rekord, die jeden einzeln abklatschte und viel Glück wünschte. Dann konnte doch nichts mehr schiefgehen! Auch unsere zweite Halle war inzwischen voller Zuschauer: Vereinsmitglieder, Freunde und Familie – alle versammelten sich, drückten die Daumen und waren (fast) genauso aufgeregt. Wir saßen endlich im Flieger, der Blick nach draußen: Verrückt! Die Lichter wurden immer kleiner, die sonst bekannten Felder – schwarz. Es erinnerte an die Rückkehr aus dem Urlaub bei Nacht, nur mit dem kleinen Unterschied, dass wir das Flugzeug so ganz anders verlassen sollten. Im Flieger war es sehr ruhig – kein Rumalbern, kein Unsinn, keine Gespräche –, jeder war konzentriert und beeindruckt von der Aussicht, gemischt mit den Gedanken daran, gleich in diese so atemberaubende Nacht zu springen. „Die Ruhe und die Silhouetten der Helme meiner Mitspringer im dunklen Flieger bei 3.000m werde ich nie vergessen.“ (Felix Mauell)

Rote Lampe – 5 Minuten. Was dann passierte, kennt ihr schon. Ready, Set, Go – hinaus in die Dunkelheit über Marl, mit vollem Fokus auf unsere Basis. Bestens sichtbar lagen dort bereits vier Springer im Stern, je unterschiedlich farblich beleuchtet. Seinen Slot zu finden und anzudocken war leichter als vorher befürchtet. Einer nach dem anderen nahm seinen Griff und die Formation war bereits jetzt überraschend hell. Man sah alle Gesichter und blendete für einen Moment aus, wie dunkel es um uns herum doch eigentlich bis gerade war. Und schon wurde auch die Pyrotechnik an den Füßen gezündet – die Formation lag, wir waren zusammen, alle Griffe geschlossen – hatten wir es tatsächlich mit diesem ersten Nachtsprung bereits geschafft? Ein letztes Abspeichern dieses wahnsinnigen Bildes – es wird für immer das erste Mal bleiben. Und schon meldet sich der Höhenwarner im Ohr – Zeit zu gehen. Einmal umdrehen, ein Blick nach hinten, nach links und rechts, bestmöglichen Abstand zu seinen Nachbarn und zur ursprünglichen Formation. Von jetzt auf gleich umgab einen wieder die Dunkelheit. 1.000m – Zeit, den Schirm zu öffnen. Die Kappe war geöffnet und flog, ein Blick nach rechts und links – wo sind die anderen? Gut sichtbar wie bunte Glühwürmchen war man von seinem Team umgeben. Die Taschenlampen, die wir am Oberschenkel befestigt hatten, wurden auf „blinken“ gestellt – jetzt waren alle noch besser sichtbar.

Ein Blick nach unten verriet: Wir wurden perfekt abgesetzt, genau über der Landewiese, die uns als großes helles Viereck entgegenstrahlte. Und plötzlich sackte es: Ich erinnere mich noch heute an jede Sekunde meines ersten Fallschirmsprungs vor sieben Jahren, aber diesmal hing ich zum ersten Mal mit Tränen in den Augen am Schirm, schreiend vor Glück und Freude und dachte nur: Wie geil war das denn bitte? WAHNSINN!!! Die vorherige Ruhe und Konzentration wurden abgelöst von Euphorie und Glücksgefühlen. Jetzt Konzentration, noch war der Sprung nicht vorbei. Immer wieder schaute man sich nach den anderen um, kurz vor der Landung der Blick zur Kette, die die Landewiese absperrte: Zahlreiche Menschen jubelten und klatschten, freuten sich mit uns und waren begeistert. Endlich wieder Boden unter den Füßen – ein gutes Gefühl nach dem Sprung.

Kurzes Durchatmen, während die Videos aufgespielt wurden, damit Gundel nach dem einen Foto suchen konnte. Das eine Foto, das alles zeigen sollte: Alle Springer, die Formation und vor allem – alle Griffe. Gibt es dieses eine Bild? Lagen die beiden Videoleute so, dass man alles sehen konnte? Sie gingen das Video im Sekundentakt durch, die Anspannung stieg: Es fühlte sich so gut an, jeder wusste, er hatte seinen Griff genommen, die Formation flog ganz ruhig – aber sieht man es auch auf dem einen Foto? Dann drehte sich Gundel zu uns um: „Ihr wolltet einen Rekord fliegen … Und ihr seid einen Rekord geflogen!“ Jubel, Applaus, Umarmungen und Tränen … Alles war vorhanden, so, wie es sein musste. Ein absolut grandioser Teamerfolg, auf den zu Recht alle stolz waren und sind.
„Das war der geilste Sprung meines Lebens, den ich nie vergessen werde. Einfach ein unglaubliches Erlebnis und so sicherlich einmalig“ (Nico Vilter). Das rundet im Grunde alles ab, mehr gibt es dem Ganzen nicht hinzuzufügen.

Zum Schluss bleibt mir nur, DANKE zu sagen: DANKE an den Verein für Fallschirmsport Marl mit all seinen Mitgliedern für die Arbeiten im Vorhinein und im Hintergrund, dem THW für die erhellende Unterstützung, Gundel Klement, allen Freunden und Familie fürs Daumendrücken und Mitfiebern, dem Hause Lampe für das tolle Catering, Jonas Dahlke für die filmische Dokumentation, Frank Täsler und Philipp Exner für atemberaubendes Bildmaterial, Robert “Bärchen“ Jastram für seine Unterstützung und all meinen Mitspringern für eine unvergessliche Teamleistung.
Zu guter Letzt: DANKE an unser Rekord-Ehepaar Philipp Exner und Tobi Koch. Beide haben die gesamte Veranstaltung mit so viel Leidenschaft und Engagement auf die Beine gestellt – DANKE DANKE DANKE.

Yvonne Marten

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