Spätestens mit dem Ausgang der Bundestagswahl ist es wohl eine nüchterne Feststellung, dass der Fallschirmsport mehr unter Druck geraten wird. Der Verbrauch fossiler Brennstoffe und Lärmemissionen zum persönlichen Vergnügen sind gesellschaftlich immer schwerer erklärbar. Zudem ist unser Sport teuer, was ihn nicht für alle gleich gut zugänglich macht.
Es fehlt auch eine wichtige Kleinigkeit: Ja, nett, die Youtube-Videos, in denen bunte Flügelmenschen rumkreuzen, aber eigentlich fängt gleich Fussi an. Die Folge: Ohne Interesse der Konsumenten- und damit Wählermassen ist kaum eine Ausnahmeregelung zu erwarten. Und wer von uns glaubt z.B. ernsthaft, dass die meisten der von uns genutzten Flugfelder inklusive unserer Aktivität heute noch neu genehmigungsfähig wären?
Wer von Konsumenten nicht vermisst wird und kein mittelintensives Lobbying betreibt, geht leicht unter. Der DFV tut sehr viel, hat aber nicht das Budget der Autoindustrie. Etwas strategische Imagekorrektur aller Player im Sport könnte also helfen. Die Intention dazu wurde auf dem letzten Verbandstag auch so beschlossen: ESG ist das Stichwort und in der Umsetzung liegt eine echte Chance.
Warum?
ESG steht für die Verantwortung, welche Wirtschaftseinheiten für E = Environmental, S = Social und G = Corporate Governance im Sinne einer gesamthaft nachhaltigen Unternehmensführung übernehmen sollten. Gesamthafte Verantwortung – genau da liegt die Chance, denn unter reinen Umweltgesichtspunkten werden wir trotz sinnvoller Maßnahmen wie CO2-Kompensation (warum machen das eigentlich immer noch nicht alle? Ist fast gratis …) nie sauber dastehen.
Aber jeder Verein und Betrieb ist – das liegt ja in den Genen unseres Sports – mindestens potenziell ein bunter Mini-Kosmos, ein Hort der Integration, der Gleichheit, des Austausches, der Entwicklung und kann auch genau so auf seine Umgebung abstrahlen. Man muss nur strahlen wollen und das etwas organisieren und Strategien zur Weiterentwicklung formulieren. Darum geht es hier.
ESG-Ratings kommen in erster Linie aus der Finanzwelt und sind für kleine Unternehmen kaum sinnvoll bzw. erschwinglich. Das sollte aber kleinere „bedrohte Arten“ nicht daran hindern, dieses methodische Vehikel auf eigene Art zu nutzen. Auf Verbandsebene wurde die Einrichtung eines öffentlichen ESG-Registers beschlossen, in welchem sich jeder Verein/Betrieb mit seiner ESG-Bilanz und -Strategie sicht- und vergleichbar machen kann. Sichtbarkeit und Transparenz sind wichtig, weil alle Kunden eine Entscheidung treffen können sollten, ob sie ihr Geld (Beiträge oder Kaufpreise) zu einem Anbieter mit hohem, niedrigem oder keinem ESG-Rating tragen wollen. Damit fordern wir uns alle selbst zur konstanten Verbesserung auf. Ein solcher Überblick muss nicht zwingend an komplexen Kennzahlensystemen orientiert sein, er kann auch im Sinne des Endverbrauchers eine eher deskriptive Form annehmen.
Klingt aufwändig, aber ist es das?
Viele unserer Vereine/Betriebe dürften schon ein leidlich angefülltes ESG-Konto haben, ohne es vielleicht zu wissen, denn es geht auch um Selbstverständliches:
Ein nachvollziehbares Bekenntnis zur Förderung des Sports (S)
Legale Arbeitsverhältnisse, vernünftige Bezahlung und intakte Steuermoral (G)
Einhaltung aller relevanten gesetzlichen (Sicherheits-)Normen im Betrieb (G)
Bewusste Auswahl von Lieferanten (möglichst regional, keine dubiosen Quellen etc.) (E, G)
Bewusste Auswahl umweltgerechter Materialien z.B. in der Gastronomie (E)
Soziales Engagement, z.B. erleichtertes Springen mit Behinderten, Förderung sozial benachteiligter Kinder/Jugendlicher durch Aktionen, Spenden etc. (S)
Dialog/Mitwirkung in lokalen Gremien (S)
Andere Dinge sind bei näherem Hinsehen oft leichter realisierbar, als man zunächst denkt. Eine Fortführungsstrategie hat ja ohnehin jeder in irgendeiner Form. Bei FSG und GoJump in Gransee pflegen wir schon lange systematisch:
Equal Opportunities: Weibliche Gesellschafter, Geschäftsführung, ethnischer Mix etc. (G)
Anreizsysteme für bessere Ressourcennutzung, z.B. Auslastung Flugzeug (E)
Duale Ausbildung – in unserem Fall jeweils 1-2 Azubis Kaufleute Tourismus- u. Freizeitwirtschaft mit Erwerb der Sprunglizenz – und berufsvorbereitende Praktika (S)
Aktive Mitwirkung in regionalen Netzwerken und städtischen Arbeitskreisen (S)
Minimierung versiegelter Flächen: Keine Asphalt-/Betonlandebahn und -parkplätze etc. (E)
Konsequentes Reinhalten des Geländes von politischen oder religiösen Botschaften oder diskriminierendem Verhalten durch Verweis vom Gelände (S, G)
Lärmmindernde Flugbetriebssteuerung über gesetzliche Regelungen hinaus durch Einsatz der jeweils verträglichsten Flugzeugtypen und alternierende Flugrouten (E)
Freiwillige Aussetzung des Flugbetriebes während Beisetzungen auf nahem Friedhof (S)
Förderung der Bahnnutzung durch kostenfreien Shuttle-Service (zukünftig mit E-Fahrzeug) (E, S)
Zurverfügungstellung von Geländerandflächen für ökologischen Monokulturausgleich (E)
Regelmäßige Sach- und Geldspenden an sozial benachteiligte Schüler der Region (S)
U.v.a.m.
Tja, vieles in diesen Auflistungen erscheint banal, muss nur mal aufbereitet in die Außendarstellung einfließen und die zugrundeliegende Strategie und Zielsetzung erklärt werden. Anderes, wie z.B. Ausbildung, mag nicht überall möglich sein. Einiges, wie der Verweis von problematischen Menschen vom Gelände, kostet etwas Umsatz. Auch Springer enttäuschen wir u.U. mit der Feststellung, dass in Gransee z.B. nie eine Skyvan oder vergleichbare Vergangenheitsrelikte fliegen werden, denn deren Verbrauchs- und Lärmemissionswerte halten nicht die Balance Springer-Spaß vs. Verantwortung gegenüber Umwelt und Mitmenschen.
Die Ausgestaltung des ESG-Transparenzregisters, welche in (vereinfachter) Anlehnung an den Deutschen Nachhaltigkeitskodex geschehen könnte, wird aus Gransee aktiv unterstützt werden. Auch die Darstellung der GoJump-ESG-Strategie ist bereits in Arbeit; die Veröffentlichung ist für die kommende Saison geplant. Detailfragen zu einzelnen unserer Maßnahmen werden wir jedem interessierten Verein oder Betrieb gern beantworten, denn hier geht es nicht um kommerziellen Wettbewerb unter Drop Zones, sondern um gemeinsame Fortschritte in der Imageverbesserung unseres Sports.
Zu gewinnen gibt es eine verbesserte öffentliche Wahrnehmung unseres Sports zur Sicherung unserer sportlichen Zukunft und einer Anzahl von Arbeitsplätzen. Zu verlieren gibt es hier nichts.
Nga Dieu und Jan Dietrich Hempel, GoJump GmbH