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Erster Wettkampf …

Es gibt sicherlich in allen Bereichen Wettkämpfe, die jeder kennt oder zumindest von denen jeder schon einmal gehört hat. Es sind auch diese Wettkämpfe, von denen gesagt wird, „da musst du hin“. So ein Wettkampf ist im Fallschirmspringen die Pink Open, ein jährlicher Wettkampf im Canopy Piloting in der Tschechischen Republik. Und genau dort ging es diesen Sommer für uns hin.

Um uns kurz vorzustellen, wir sind der Nachwuchskader des DAeC NRW für die Disziplin Canopy Piloting und kommen vom Landesleistungsstützpunkt Fallschirmspringen, der beim Verein für Fallschirmsport Marl beheimatet ist.

Beim Canopy Piloting geht es kurz gesagt darum, dass der Springer bei der Landung mit seinem Fallschirm die sonst kurze Gleitphase über dem Boden aktiv verlängert. Hierbei wird eine Gleitphase, die an einem üblichen Sportschirm nur wenige Meter beträgt, durch spezielle Schirme und Ausrüstung auf teilweise über 150m verlängert. In einer anderen Wertung wird
versucht, während der Gleitphase möglichst schnell zu werden oder nach einer festen 50m langen Gleitphase über Wasser möglichst präzise in einem Kiesbett zu landen.

Für uns war es dieses Jahr mit dem Zuschauen vorbei, unser Trainer Tobi Koch sah nach nunmehr drei Jahren Training im Kader den Athleten Nico Vilter bereit, uns auf dem ersten Wettkampf zu vertreten. Nun muss man dazu sagen, dass die Pink Open nicht einfach nur ein kleiner regionaler Wettkampf ist, sondern es handelt sich um ein absolutes internationales Top Event, bei dem sich alle Größen der Szene versammeln. Die Athleten reisen aus den USA, Frankreich, Australien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Deutschland, Neuseeland, Südafrika, England und sogar Israel und vielen weiteren Ländern an, um an der Pink Open teilzunehmen. Dieses Jahr traten gleich mehrere internationale Top-Athleten an den Start. Unter ihnen der amtierende Weltmeister Cedric Veiga Rios sowie die Brüder Mario und Armando Fattoruso, beide Mitglieder des Performance Designs Factory Teams, einem komplett gesponserten Team von Berufsspringern aus den Vereinigten Staaten. Dazu trat ebenfalls die von allen für ihren perfekten Flugstil bewunderte Cornelia Mihai aus dem privat gesponserten Team des Prinzen von Dubai an. Als wäre das noch nicht genug Konkurrenz trat ebenfalls Max Manow vom Red Bull Skydive Team an, auch Berufsathlet. Wobei das nur die Spitzenathleten waren. Das übrige Teilnehmerfeld bestand aus Berufsspringern oder Athleten mit langjähriger Wettkampferfahrung. Der erste Wettkampf ging also gleich auf hartes internationales Parkett.

Gut ausgeruht ging es am 24.7. in Klatovy gegen Vormittag an die ersten Trainingssprünge. Diese waren sehr vielversprechend und stimmten uns positiv für Training und Wettkampf. Für den letzten Trainingssprung am ersten Tag war unser Auftrag „auf den Pond zu gehen“.

Hierzu muss man sagen, dass beim Canopy Piloting stets ein 10m breiter durch Bojen markierter Parkour durchflogen werden muss, hierbei darf der Athlet am Schirm nicht über 1,50m Höhe steigen, da er sonst den Parkour vertikal verlassen und der Sprung nicht gewertet werden würde. Der Parkour endet zwar auf dem Land, muss aber, laut Regeln, immer über einer Wasserfläche beginnen, daher auch der englische Name Pond für Teich.

Bei diesem Trainingssprung für den Wettkampf, der uns zum ersten Mal durch den Parkour führte, wurde uns klar, dass unser Trainer mit den Worten „auf einer großen Wiese kann das jeder“ definitiv nicht gelogen hatte. Normalerweise landen Fallschirmspringer auf Wiesen, bei denen eine Größe von einem Hektar nichts Ungewöhnliches ist, da ist ein 10m breiter Streifen wirklich etwas ganz anderes.

Das sollte sich auch in den darauffolgenden Trainingstagen bestätigen. Es reicht nicht, den Parkour nur einmal zu treffen und sauber zu durchfliegen. Es kommt darauf an, den Parkour bei allen Windstärken und -richtungen, unabhängig von Thermik, wo man vom Piloten abgesetzt wird oder irgendwelchen anderen Faktoren, immer mit der konstant gleichen Leistung zu treffen.

Mir persönlich war schon immer klar, dass die Wettkämpfer hervorragende Piloten sind, die es genau verstehen, ihre Schirme zu fliegen. Jetzt selbst in der Situation, durch den Parkour zu fliegen, zeigte mir, was alles dazu gehört, diese Disziplin zu betreiben. Die gesprungenen Schirme sind Hochleistungsfallschirme mit hohen Sink- und Vorwärtsgeschwindigkeiten, was bedeutet, am Schirm bleibt nur wenig Zeit, um sich in die perfekte Position zu bringen. Alles mit dem Wissen im Hinterkopf, dass man weder anhalten, noch rückwärts, noch wieder steigen und neu anfliegen kann und wenn dieser Versuch nicht passt, sich die nächste Gelegenheit erst wieder beim nächsten Sprung bietet. Und das alles für einen Vorgang, der im Wettkampf und Training vielleicht 20, höchstens 30 Sekunden dauert.

Unser Training am zweiten Tag begann mit Distance. Hierbei soll in der Gleitphase am Boden so weit wie möglich geflogen werden. Der Morgen begrüßte uns mit Windstille und viel Sonne und Nicos erste Flüge durch den Parkour wären im Wettkampf gültig gewesen, mehr konnte man vom ersten Training nicht verlangen. Gegen Mittag kam dann eine Süd-West-Strömung auf, welche das Training erschwerte, da sie eine Korrektur des Anflugs in gleich zwei Richtungen verlangte. Zusätzlich wurde die Thermik immer deutlicher spürbar. Durch eigene Anpassungen und die enge Absprache mit unserem Trainer konnten wir aber wieder schnell Herr der Lage werden und die anfängliche Herausforderung in einen guten Trainingserfolg verwandeln. Der Tag ging für uns erfolgreich zu Ende, die ersten Sprünge unter Wettkampfbedingungen hatten uns klar gezeigt, was uns erwartet und worauf wir in den nächsten Tagen unser Training fokussieren mussten. Nicht dass uns genau das von Tobi ab dem ersten Tag nicht gesagt worden wäre, aber jetzt hatten wir es dann auch wirklich begriffen.

Der nächste Trainingstag begrüßte uns mit ebenfalls fabelhaftem Wetter, und der Trainingsplan machte eindeutig klar, wohin es gehen sollte. Nach anfänglich zwei Sprüngen Distance wie am Vortag ging es für Nico in das erste Training überhaupt für die Speed-Wertung. Hierbei geht es darum, dass der Springer einen 70m langen Parkour mit einer 75°-Kurve so schnell wie möglich durchfliegt. Da die Kurve so weit gebogen ist, dass sie nicht in einer geraden Linie durchflogen werden kann, ist die Anforderung an den Springer, so schräg wie möglich in die Kurve einzufliegen und bei möglichst hoher Geschwindigkeit im passenden Moment die Kurve einzuleiten. Diese ungemein
technischere Disziplin bedeutete für Nico noch intensivere Vor- und Nachbesprechung der Sprünge mit Tobi, wobei sowohl das Videomaterial seiner Helmkamera als auch das Bodenvideo genutzt wurden. Gegen Mittag traten ähnliche Windbedingungen wie am Vortag auf, nur dass jetzt noch unvorhersehbare Böen aus Süden dazukamen, welche die Schwierigkeit bei der Planung des zielgenauen Anfluges noch einmal erhöhten. Allerdings konnten wir auf unsere Trainingserfolge vom Vortag zurückgreifen und ließen uns nicht aufhalten. So konnten auch hier die Grundlagen für eine weitere Disziplin des in nur drei Tagen anstehenden Wettkampfes gelegt werden.

Für den Dienstag sollte dann die letzte und technisch herausforderndste Disziplin dazukommen, nämlich Zone Accuracy. Wie schon gesagt ist es für einen Springer eine andere Hausnummer, bei verschiedenen Bedingungen immer wieder den 10m breiten Parkour zu treffen. Eine andere Postleitzahl ist es dann am Ende des Parkours noch in einer zwei Quadratmeter großen Markierung, der sogenannten Center Zone, möglichst stehend zu landen. Im Gegensatz zu Distance und Speed, wo es darauf ankommt, mit möglichst viel Geschwindigkeit oder Energie durch den Parkour zu fliegen, kommt es bei Zone Accuracy auf eben die genaue Dosierung an. Es geht darum, schnell genug zu fliegen, um bis zur Center Zone zu kommen, aber eben auch nur genau bis dahin und möglichst nicht zu überschießen. Idealerweise hat der Schirm bis dahin so viel an Geschwindigkeit verloren, dass er im Ziel so gut wie keine Vorwärtsfahrt mehr macht, um dann stehend zu landen, denn ein Sturz bei der Landung führt zu Punktabzug.

So weit der Plan für den Tag. Nach dem ersten Sprung allerdings begann der Wind früher und stärker als an den anderen Tagen aufzufrischen. Schnell entschieden wir mit Tobi uns dazu, dass Nico und ich mit dem Training erst einmal pausieren und warten sollten, bis der Wind abnimmt. Zwar wäre ein Training weiter möglich, aber nicht sinnvoll gewesen und das Risiko hätte für uns gegen den Nutzen überwogen. Unsere Entscheidung erwies sich als richtig, da der Wind weiter zunahm und auch alle anderen Wettkämpfer sich entschieden, das Training zu unterbrechen. Die unerwartete Pause, die bis in den späten Nachmittag dauern sollte, gab uns die Gelegenheit, die Sprünge der letzten Tage ganz in Ruhe noch einmal mit Tobi durchzugehen, aber auch das Gespräch mit anderen Wettkämpfern zu suchen. An dieser Stelle möchten wir ein herzliches Dankeschön an alle deutschen und österreichischen Teilnehmer aussprechen, die uns die ganze Zeit über zusätzlich zu Tobi mit Ratschlägen versorgt und motiviert haben. Wir haben uns sehr willkommen und nicht wie „die Neuen“ gefühlt. Alles, was gesagt wurde, war hilfreich und wir werden sicher noch lange davon zehren. Dankeschön!

Der Nachmittag hielt dann noch einen kleinen Hagelsturm mit weintraubengroßen Hagelkörnern für uns bereit, dem leider auch Zelte und Markisen zum Opfer fielen, und auch Nicos Zelt offenbarte kleinere Undichtigkeiten. Danach war es jetzt nahezu windstill, aber die Stimmung buchstäblich ins Wasser gefallen. Trotzdem konnten wir uns mit der jetzt wieder scheinenden Sonne neu motivieren und stiegen voller Begeisterung wieder in den Flieger. Aber das Unglück für diesen Tag sollte noch nicht vorüber sein. Beim ersten Trainingssprung für Zone Accuracy überdehnte sich Nico leider ein Band am Knöchel, was den Wettkampf nicht unmöglich machte, aber ihn doch stark einschränkte. Nach anfänglicher Ungewissheit, wie jetzt möglichst schonend weitertrainiert oder der Wettkampf bestritten werden kann, nahte die Lösung in Form eines befreundeten deutschen Mitbewerbers. Dieser hatte ein ganzes Sortiment an verschiedenen Bandagen und Schienen dabei, von denen er ohne zu zögern eine Nico überließ.

Am letzten Trainingstag standen insgesamt 7 Sprünge auf dem Plan, jede Disziplin zweimal und zum Abschluss noch einmal Zone Accuracy. Tobi hatte aus seiner Erfahrung als Wettkämpfer abgeschätzt, dass am nächsten Morgen der Wettkampf wohl damit beginnen würde und er sollte Recht behalten.

Am Donnerstag, dem 30.7., begann also die Pink Open 2020. Der Name Pink stammt daher, dass die am Sprungplatz in Klatovy beheimateten Absetzmaschinen früher und auch noch teils heute auffällig pink lackiert sind. Die Auslosung der Sprungreihenfolge der Athleten teilte Nico der ersten Maschine zu. Ein nicht optimaler Umstand, da man leider keine anderen Wettkämpfer vor dem eigenen Sprung beobachten kann. Aber davon ließ Nico sich nicht beirren und startete voller Elan in den Wettkampf.

In jeder Wertung werden drei Sprünge, also idealerweise neun für den ganzen Wettkampf, durchgeführt.
Zone Accuracy verlief für Nicos ersten Wettkampf absolut zufriedenstellend. Zwar konnte er nur in einem von drei Sprüngen effektiv Punkte erringen, aber er traf bei jeder Runde den Parkour und war damit dem ein oder anderen Mitstreiter voraus. Zudem konnte man bei jedem der drei Sprünge eine Verbesserung der Leistung zum vorigen sehen. Und bereits nach dem ersten Sprung war bei ihm sämtliche Nervosität gewichen und pure Begeisterung für den Wettkampf kam auf.

Nach den ersten 3 Runden Zone Accuracy und einer Mittagspause wurde mit Distance der Wettkampf wieder aufgenommen. Hier zeigte Nico, was in ihm steckt, und holte teilweise mehr Punkte als erfahrene Wettkämpfer auf deutlich leistungsstärkeren Schirmen. Erschwert wurde der Wettkampf für ihn jedoch durch einen Rejump. Nico musste beim dritten Wertungssprung auf Grund eines Navigationsfehlers seines Vordermanns seinen Anflug abbrechen, zwar bekam er hierfür einen neuen Versuch, dennoch musste die Konzentration hierfür eine weiteres mal aufgebracht werden. Und jeder weiß, ein Wettkampf wird zur Hälfte im Kopf entschieden. Aber Nico bewies Nervenstärke und Disziplin, konnte sich trotz der vorangegangenen sechs Sprünge und des sehr heißen Wetters ein weiteres Mal konzentrieren und seine beste Leistung in Distance erbringen. Auch hier war noch im Wettkampf eine Steigerung der Leistung klar zu erkennen. Sein Gesamtergebnis lässt sich gerade im Vergleich mit dem gesamten Teilnehmerfeld absolut sehen. Mit dem Ende der Distance-Wertung wurde auch der erste Wettkampftag beendet. Die Freude über die ersten Erfolge war natürlich groß, die Party musste aber noch warten, eine Disziplin stand ja noch aus.

Also ging es früh ins Bett und am nächsten Morgen wurde mit Speed gestartet. Auch hier konnte Nico sein Training voll abrufen und in jeder Runde Punkte machen, was nicht für jeden in dieser Wertung selbstverständlich war. Andere Wettkämpfer trafen den Parkour nicht oder schafften es nicht, die Kurve zu fliegen, und verließen den Parkour, was automatisch zu null Punkten führt. Anerkennung sowohl von seinen deutschen und österreichischen Mitstreitern als auch von den deutschsprachigen Schiedsrichtern für alle seine Leistungen hoben seine Begeisterung, Erleichterung und Freude nach Abschluss des letzten Wettkampfsprunges ins Grenzenlose. Es soll an dieser Stelle noch mal gesagt werden, dass Nico bei allen neuen gewerteten Sprüngen bei jedem Sprung Punkte geholt hat, was bei vielen anderen Wettkämpfern nicht der Fall ist und als Tatsache an sich schon einen Achtungserfolg darstellt.

Dem Ganzen wurde die Krönung bei der Siegerehrung aufgesetzt. Als Neuling auf der Wettkampfbühne, trotz Verletzung,
trotz Trainingsausfall durch das Wetter, trotz Rejump, trotz heißer Temperaturen und trotz der nur wenigen Trainingssprünge unter Wettkampfbedingungen konnte Nico sich bei seinem ersten Wettkampf überhaupt bei überaus harter internationaler Konkurrenz Platz 30 von 39 erkämpfen. In der deutschen Wertung konnte er Platz 9 erlangen und damit ist Nico Vilter bei seinem ersten Wettkampf trotz aller Widrigkeiten und Herausforderungen in den Perspektivkader Nationalmannschaft eingezogen. Damit hat auch der Förderkader sein großes Ziel erreicht. Ein Nachwuchsathlet hat es mit einem Sprung in die Nationalmannschaft geschafft und könnte in Zukunft Deutschland auf internationalen Events vertreten. Den deutschen Meistertitel konnte Max Manow vom Red Bull Skydive Team erlangen. Dicht gefolgt von Max Kossidowski auf Platz 2 und unserem Coach Tobi Koch auf Platz 3. Den internationalen Wettkampf gewann der Weltmeister Cedric Vega Rios, ganz knapp vor Cornelia Mihai und Max Manow.

Ich bin gespannt, wohin die Reise von hier aus geht und was noch alles kommen wird. Aber eins weiß ich sicher, es wird großartig und wir werden alle noch staunen. Ganz besonders möchten wir uns als Springer im Nachwuchskader beim Stützpunkttrainer Tobi Koch und Stützpunktleiter Gerhard Währisch für die letzten drei Jahre bedanken. Das große Ziel wurde erreicht und wir sind alle froh, das in uns gesetzte Vertrauen nicht enttäuscht zu haben, und dankbar, dass wir diese Chance bekommen haben. Ein weiterer großer Dank für diese Unterstützung gilt den beiden Verbänden DFV und DaeC sowie dem Landessportbund NRW ohne deren Unterstützung dieser Erfolg nicht möglich gewesen wäre.

Benedikt Lampe

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