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Der Windtunnel: Eine großartige Erfindung

Wie hat es Petra B. so treffend beschrieben: Ein wahr gewordener Kindheitstraum-ein Zimmer in dem wir fliegen können. Ja so ist es. Wir können uns unkompliziert treffen, uns austoben und eine wunderbare Zeit haben. Daran will dieser Artikel ausdrücklich nicht rütteln. Punkt. 🙂

Dank Boris Nebe fliegen wir nun seit einigen Jahren in Bottrop. Neuerdings auch in Berlin und München. Dort tummeln sich viele von uns auf dem Bauch, Head up oder Head down.

Ganz hervorragend können wir dort unsere persönlichen Fähigkeiten (neudeutsch Skills)) verfeinern und erweitern. Dieses Skilltraining ist für die meisten Bauchflieger nur die Anfangsphase. Die meisten gehen dann flott zu dem Wettbewerbsformat 4er oder 8er über und trainieren mit ihren Teams. (im Weiteren beziehe ich mich jetzt nur auf die Bauchflieger. Einige Aspekte mögen auch für andere Disziplinen zutreffen.)

Auf Meisterschaften wird bei der Vorstellung der Teams sowohl die Anzahl der Trainingssprünge als auch die Tunnelzeit genannt. Es wird davon ausgegangen, dass die Tunnelzeit ein signifikanter Faktor bei der erreichten Leistung und somit Bestandteil des Trainings ist. Jetzt die große Frage: Was bringt ein Windtunneltraining an Leistungssteigerung für die Outdoor Variante des Formationsfliegens. Zu dem Thema der Leistungssteigerung durch Tunneltraining müssen wir uns die Unterschiede zwischen Freifall und Tunnel anschauen.

Das Gurtzeug: Wer schon einmal mit einem Gurtzeug im Tunnel geflogen ist, hat festgestellt wie hinderlich es ist. Da ist die Hälfte des Spaßes schon mal weg. Die Bewegungen sind viel behäbiger und alles geht überhaupt nicht mehr so locker von der Hand sobald wir ein Rig auf dem Rücken tragen.

Die Luft im Tunnel: Sie ist härter und direkter. Verdränge ich Luft im Freifall durch Arm oder Knieeinsatz, so verschwindet diese Luft in der Unendlichkeit des Raumes. Im Tunnel wird sie von dem von den Wänden begrenzten Raum zurückgeworfen. Dadurch ist z.B. ein Armeinsatz im Tunnel mit Kraft verbunden, während man im Freifall bei der Bewegung fast keinen Widerstand spürt.

Aber noch gravierender ist die visuelle Referenz, die im Tunnel durch Wände und dem Boden im Gegensatz zum Freifall vorhanden ist. Wenn ich in der Nähe und auch in einer Freifallformation nicht zum Zentrum der Formation schaue, werde ich mich nach wenigen Sekunden von der Formation entfernen und nicht mehr auf dem gleichen Level sein.

Das ist das wichtigste Phänomen im Formationsspringen und oft sehr schwer teilweise gar nicht zu vermitteln, da es anderen Gesetzmäßigkeiten folgt, als wir es auf dem Boden gewöhnt sind. Wenn ich mit Menschen in einer Runde stehe, kann ich ruhig mal wegschauen, Dadurch werde ich mich nicht von ihnen entfernen und wenn ich jemanden dabei noch an der Hand halte kann ich mir noch sicherer sein. Wenn ich mit einer Freifallformation verbunden bin und nach außen schaue, werde ich trotz der Verbindung nur sehr kurz auf dem Level der Formation bleiben und diese entweder anheben oder herunterziehen. Formationsspringer schauen jedenfalls gern mal nach außen und zerren ohne es zu merken an der Formation, während sie ihre ankommenden Kollegen anlächeln. Darum schaut der wissende Springer wie besessen zum Zentrum und niemals weg.

Im Tunnel sind die Verhältnisse wie im normalen Leben. Anhand der Wände und auch des Bodens kann ich meine Position und Level immer ablesen, ohne dass ich zur Formation schauen muss. Ich kann ruhig den Leuten außerhalb des Tunnels zulächeln und trotzdem leicht mein Level und meine Position halten. Außerdem kann ich mich aus Platzgründen sowieso nicht weit entfernen. Ich kann ohne zu schauen im Höchsttempo in eine outfacing Position drehen und trotzdem in der richtigen Position sein. Im Freifall völlig unmöglich.

Zusammengefasst: es gibt gravierende Unterschiede zwischen dem Tunnelfliegen und dem freien Fall.

4er Training im Tunnel ist vergleichbar mit einem 100 Meter Läufer, der auf einer Bahn mit 20% Gefälle trainiert. Er könnte sich zwar darüber freuen 10mal bergab unter 10 Sekunden gelaufen zu sein, es würde aber keinen Trainingseffekt bringen. Ein einfaches Gefälle-Training würde den Hundertmeterläufer auf Dauer sogar schlechter machen. Wahrscheinlich würde er solch eine Strecke nur nutzen, um bergauf zu sprinten und zum Entspannen wieder locker hinunter zu hüpfen. Denn nur wer schwieriger trainiert und an die Grenze geht, wird auf Dauer besser. Nicht anders herum

Hat die Einführung der Tunnel nun nachweislich die Progression der Teams gesteigert?

Dazu ein paar Beispiele aus der Zeit vor der Tunnellei.

  • Der höchste Schnitt im 4er hat sich von 1987 (14,5) bis 1993 (19,0) um 30%gesteigert.
  • Busts kosteten damals 3 Punkte und es gab 24 statt 22 Blöcke. Also können wir auf diesen Schnitt ruhig noch etwas drauf packen.
  • Booties gab es noch nicht und geflogen wurde mit Lederkappen, in Boxpostion und in bunten Kombis :-).

10 Jahre später mit Tunnel, moderner Körperposition, Booties, Helmen und schwarzen Kombis lag der Schnitt bei 22,5. Nicht mal eine Steigerung von 20%. 1998 (vor dem Tunnelzeitalter) hatten die vier 8er-Spitzenteams zusammen einen höheren Schnitt als bei der WM 2018. Also keine Steigerungen die zwingend auf das Tunneltraining zurückführen sind. Die Grundthesen warum Tunneltraining möglicherweise weniger bringt als wir hoffen wurden oben schon genannt.

Allerdings sind die Unterschiede zwischen Randomarbeit und Blöcken erheblich. Denn gerade die Blöcke sind im Tunnel nicht so einfach zu verbessern. Nehmen wir Block 8 (Canadian Tee/Canadian Tee). Im Freifall liegt es in der Natur des Blockes, das beide Paare nach der Drehungen zu viel Distanz zueinander haben (ähnlich 21 Zig-zack/Marquise). Also muss ein Auseinanderdriften durch langes Halten des Blickkontaktes verhindert werden. Im Tunnel dagegen ist es so beengt, dass Paare darauf achten müssen, den ganzen Tunnel zu nutzen und genug Platz machen. Wenn dieser Gedanke des Platzmachens in den Köpfen haften bleibt, wird im Freifall daraus eine Distanz von 2-5Metern. Randomarbeit kommt dem Freifall etwas näher. Dies ist bestimmt ein Grund für die hohen Scores bei der Runde 6 der diesjährigen WM  (reiner Randomsprung, Highscore 62). Allerdings haben die Spitzenteams auch 600-1000 Sprünge pro Jahr im Wechsel mit viel Tunnel gemacht. Da kennen sie die Unterschiede und trainieren entsprechend.

Große Vorsicht ist beim 8er Tunneltraining geboten. Bei den 8ern ist es im Tunnel kaum möglich, dass es zu großen Abständen kommen kann. Ein (4er) Zentrum kommt immer zusammen, egal ob die Außenleute schon vorzeitig daran rumturnen. Dazu ist zu wenig Platz. Im Freifall dagegen verhindern zu frühe Docks gern einen Aufbau des Zentrums und zerstören den Rhythmus. Im Tunnel funktioniert viel, was im Freifall schieflaufen würde und kann Illusionen und falsche Vorstellungen schaffen. Dass muss bei einem Training für den Freifall beachtet werden.

Nochmal für die Stimmung-Ich möchte jetzt niemanden den Spaß daran nehmen im Tunnel endlich mal das zu verwirklichen, was wir uns für den Freifall immer gewünscht haben. Endlich einfach mal drauf losfliegen und alles klappt. Alles wunderbar, nur bitte bedenken, dass es für die Freifallperformance oft nichts bringt.

Ist ein Tunneltraining sinnlos?

Nein, ganz und gar nicht. Man muss die Gegebenheiten nur sinnvoll und entsprechend Nutzen. Ein Training bei dem ausschließlich nur verschiedene Wettbewerbssprung nacheinander und ohne Wiederholungen geflogen werden, gehören mit Sicherheit nicht dazu Das hat mit einem Training, wie es in anderen Sportarten üblich ist, nichts zu tun.

Schaut vor einem Fussballspiel die Weltstars Robben und Ribery an. Sie beginnen ihr Aufwärmen mit dem Zuspielen des Balls in einem Abstand von 5 Metern mit der Innenseite des Fußes. Das machen die so 20 bis 30 mal. Das ist die aller einfachste Übung, die man mit einem Fussball machen kann! Sie tun es, um ihre Feinmotorik ganz langsam aufzuwärmen und ein Gefühl für ihren Körper und den Ball zu entwickeln. Und dass, obwohl sie es schon hunderttausende Male gemacht haben.

Dieses Feingefühl entwickele sich nicht bei Wettbewerbssprüngen in höchstem Tempo. Das ist ein Input der so vielschichtig ist, dass nicht viel im mentalen und sensorischen Bereich hängen bleiben und sinnvoll verarbeitet werden kann. Viel hilft viel, trifft hier nicht zu. Außerdem haben Wettbewerbssprünge mit hohem Tempo im Tunnel zu wenig mit dem Freifall zu tun.

Beispielhafte Trainingseinheiten. so wie sie in allen Sportarten gang und gebe sind könnten diese sein:

  • Aufwärmen (jeweils 2 Personen) durch Drehungen, Kniesensibilisierung, Vor-zurück, Fallratenübungen.
  • Dynamisches Fliegen (zu viert) Over/Under, Snakes, etc-
  • Random Arbeit: No contact, lange Stopps vor dem Greifen, Sequenzen Vorwärts und Rückwärts fliegen, Tempowechsel.
  • Blöcke: no Contact, in Zeitlupe, Stop im Zwischenbild, Rückwärts, wechselnde Partner.
  • Am Ende maximal 30% -Wettbewerbssprünge. Dabei beachten: Blickkontakte, Tempo nicht zu schnell, Synchronität beim Greifen (stellt den Blickkontakt sicher).
  • Oft mit Wiederholungen arbeiten bevor ein neues Thema beginnt.

Da gibt es so viele Möglichkeiten und ein riesiges Feld Ideen zu entwickeln.

Und zum Schluss noch die aufbauenden Worte von Roland Krüger (mit seinem typischen Grinsen):

„Zur Vorbereitung von Outdoorsprüngen ist der Tunnel das beste Rollbrett, das ich mir vorstellen kann.

Dieter Kirsch

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